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Beschreibungen

Gattung werkorientierter Darstellungen der
Kunst etabliert sich in der Nachfolge Winckel-
manns. Schon die erste systematische Geschich-
te der Skulptur der Neuzeit, diejenige Cicogna-
ras [1813 ff.], enthält knappe Beschreibungen
der Medicigrabmäler.

5. Belletristik und Poesie. Mehr als alle
anderen Bildwerke der Kapelle ist die Notte
literarischer Gegenstand geworden. In den
/ Marmi betitelten Gesprächen von Anton
Francesco Doni [1552., ed. Chiorboli, II, 20]
werden Notte und Aurora belebt, um die vor
Bewunderung erstarrten Besucher wieder zum
Leben zu erwecken. In Heinrich Heines [1836,
87] Novellenfragment Flor entmische Nächte
wünscht sich hingegen der todessehnsüchtige
Ich-Erzähler Maximilian in den Armen der
Notte an ihrem ewigen Schlaf teilzuhaben.
Beide Texte thematisieren den Übergang vom
lebenden Betrachter zum toten Stein. Sie sind
Varianten des Pygmalion-Motivs, für das die
schlafende Aktfigur besonders geeignet ist.

Dieses Motiv durchzieht nicht nur die Prosa,
sondern auch die lyrische Auseinandersetzung
mit den Skulpturen der Kapelle. Seine Kanoni-
sierung erwirkten zwei Vierzeiler aus der Mitte
der 1540er Jahre: ein lobendes Epigramm von
Giovanni di Carlo Strozzi und die berühmte
Antwort Michelangelos (vgl. S. 78), denen
zahlreiche andere Bildgedichte gefolgt sind.1?
Weder diese Gedichte noch die erwähnten
Erzählungen leisten allerdings eine Beschrei-
bung. Im Zwiegespräch zwischen den Betrach-
tern und den belebten Statuen entsteht ein
erzählerisches Zusammenspiel. Handlung tritt
an die Stelle von Beschreibung.

Der Wandel von Struktur und Funktion
der Beschreibungen

Beschreibungen im 16. Jahrhundert
Die beiden einzigen im 16. Jahrhundert publi-
zierten eingehenden Beschreibungen der Medi-
ciskulpturen stammen von Giorgio Vasari und
Francesco Bocchi. Auszügen dieser Texte soll
im folgenden eine eingehende Untersuchung
gewidmet werden.

Der größte Teil von Vasaris Vite besteht,
wie Svetlana Alpers [i960, 190] festgestellt
hat, in der Beschreibung einzelner Werke. Auch
in der Vita Michelangelos sind Beschreibungen
an der entsprechenden Stelle der Lebens-
geschichte eingebettet. Die erste Auflage (1550)
beinhaltet die älteste Beschreibung der Neuen
Sakristei und ihrer Skulpturen.3° Vasari
beschreibt, wie Clemens VII. und Michelangelo
den Bau der Kapelle beschließen und Miche-
langelo sie in Anlehnung an Brunelleschis
Sakristei gestaltet. Die Beschreibung der Statu-
en beginnt bei der Madonna und fährt mit den
Grabmälern beider Herzöge und ihrem Pro-
gramm fort. Den meisten Statuen sind jeweils
mehrere Zeilen gewidmet, Giorno und Crepus-
colo werden lediglich benannt. Als Beispiel
greife ich die etwas ausführlichere Beschrei-
bung der Aurora heraus:

Ma che dirö io de la Aurora, femmina ignuda e da
fare uscire il maninconico dell'animo e smarrire
lo Stile alla scultura? nella quäle attitudine si
conosce il suo sollecito levarsi sonnacchiosa, svi-
lupparsi da le piume, perche par che nel destarsi
ella abbia trovato serrati gli occhi a quel gran

z9 Eine Liste der Bildgedichte nach Skulpturen Michelan-
gelos bei Kranz [1981, 52z ff.]. Ihre Vollständigkeit
überbietet alle bisherigen Michelangelobibliographien.
Hinzuzufügen sind ein lateinisches Gedicht über die
Notte von Pier Filippo Assirelli, der 1597 veröffentlicht
wurde (abgedruckt im Anhang S. 151) sowie Gedichte
über mehrere Tageszeitskulpturen von Christian Mor-
genstern, Rudolf Treichler und Hans Georg Häußler
[zitiert bei Häussler 1998, bes. 26 f., 49 f., 62, 68 und
88].

3° Vasari [1550, ed. Barocchi 1962, 57 - 63].

" So Barocchi [1962, Vita, III, 1022].

3Z Barocchi [1962, Vita, III, 1022] scheint den Satz über
die Melancholie mißverstanden zu haben: Die Melan-
cholie wird nicht vertrieben, sie tritt hervor wie Ernst
Förster zu Recht übersetzt hat (>dell'animo< und nicht
>dall'animo<). Diese Klärung verdanke ich Christoph
Hoch.

33 Alpers [i960 ff., bes. 195 und 203).

34 Vgl. Rosenberg [1995, z99 #•}• Dieser literarische
Umgang mit Werken der bildenden Kunst wird im 16.
Jahrhundert auch theoretisch reflektiert, namentlich
von Vasaris Altersgenossen Anton Francesco Doni.
Frangenberg [1990] hat diesbezügliche Gedanken
 
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