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Schmarsow, August
Grundbegriffe der Kunstwissenschaft: am Übergang vom Altertum zum Mittelalter kritisch erörtert und in systematischem Zusammenhange dargestellt — Leipzig [u.a.], 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.15210#0046
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III.

MENSCHLICHE ORGANISATION

Auf eine vor allem entscheidende Frage in der bisherigen
Darlegung wird auch der entgegenkommende Leser des Riegischen
Buches keine befriedigende Antwort gefunden haben: Wie kamen
die Kulturvölker des Altertums zu der Eigentümlichkeit, die ihnen
nachgerechnet wird, in ihrer bildenden Kunst nur der Ebene eine
so bevorzugte Rolle einzuräumen? Wenn sie in den Außendingen
stoffliche Individuen, zwar von verschiedener Größe, aber jedes zu
einer Einheit abgeschlossen, erblickten; wenn sie mittels der bilden-
den Kunst einzelne Individuen herausgriffen und sie in ihrer klaren
abgeschlossenen Einheit hinstellten; wie kamen sie dazu, Ebenen
zu schaffen, und nicht, wie wir glauben sollten, Körper im Raum?
Die Auffassung nach Analogie der eigenen Menschennatur; der
Anthropismus, die dabei angerufen werden, konnten sie doch nur
dazu führen, in allen Dingen ringsum Rundkörper vorauszusetzen
und in Übereinstimmung mit dem eignen Leibe Rundwerk zu
schaffen. Auf dem Wege der reinen sinnlichen Wahrnehmung er-
faßt, war nur dieses die individuelle Einheit, die gleich dem
Menschen auch allen übrigen Objekten in der Welt zukam. Diese
Auffassung ergab zwingend der Tastsinn mit seinen weitverzweigten
Organen. Wie hätte die Mitwirkung des Auges eine solche Ent-
fremdung von der Hauptsache schon zu einer Zeit herbeiführen
sollen, die so lange noch auf tastbare Bewährung der Undurchdring-
lichkeit und Geschlossenheit der Gegenstände erpicht war, wie uns
immer wiederholt wird. Wir begreifen wohl, — wenn auch nicht, wie
es so „frühzeitig" geschehen sein soll, — „daß die optische Wahr-
nehmung allein für genügend befunden wurde, um von der stoff-
lichen Einheit eines Außendinges Gewißheit zu schaffen, ohne daß
hierbei der Tastsinn zur unmittelbaren Zeugenschaft herangezogen
werden mußte". Aber wir begreifen gar nicht, wie diese Ausschal-
tung des Tastsinnes für das bildnerische Schaffen maßgebend werden
konnte, so daß „die wesentlichste Vorbedingung hierbei" erfüllt
 
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