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Schmarsow, August
Grundbegriffe der Kunstwissenschaft: am Übergang vom Altertum zum Mittelalter kritisch erörtert und in systematischem Zusammenhange dargestellt — Leipzig [u.a.], 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.15210#0163
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XL

TEKTONIK

RAHMEN WERK UND GESCHRÄNK — STÜTZWERK UND GESTELL

Werkzeuge und Geräte, die das Kunsthandwerk liefert, erfüllen
ihren Gebrauchszweck immer im Zusammenwirken mit dem Menschen.
Der Hinzutritt des lebendigen Subjekts erst löst den Vollzug der
Funktion wirklich aus, die bis dahin latent ihm entgegenwartet. Je
nach dem Grade dieser Bedingtheit, der Beweglichkeit oder Stand-
festigkeit bestimmt sich die Auffassung des Gebrauchsgegenstandes.
Dort überwiegt der mimische Charakter, die transitorische Gebärde,
hier der plastische Körper in Ruhe, die geschlossene Form. Mit
dem Übergewicht des bleibenden Bestandes nähern wir uns dem
festen Gefüge, dem tektonischen Aufbau, der sich allen Gelüsten
unserer beweglichen Phantasie widersetzt, oder ihrem wandelbaren
Spiel zum Trotz seine unverrückbare Beharrung immer aufs neue
bewährt. Aber auch hier darf der Ubergang vom vorübergehend
gebrauchten Gerät zur dauerhaften Festigung des Gerüstes nicht
vergessen werden, wollen wir die Doppelnatur des menschlichen
Gebildes nicht aus den Augen verlieren und vorschnell durch ein-
seitige Betrachtung auf Abwege geraten. Lassen wir ein Beispiel
für sich selber reden.

Wie schlank und leicht erscheint noch heute unser Regen-
oder Sonnenschirm! Kaum schwerer als ein Wanderstab, oder gar
elegant wie ein Spazierstock, begleitet er uns bei veränderlichem
Wetter überall. "Er handhabt sich bequem und entfaltet sich schnell
über unserem Kopfe, wenn wir ihn brauchen, um hernach in einem
anderen Moment ebenso geschwind wieder zusammengeklappt, in
die unscheinbare Figur und die untergeordnete Rolle an unserer
Seite zurückzukehren. Schon breiter macht sich der große Sonnen-
schirm des Malers draußen auf der Wiese; ungelenker benimmt

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