als Individuum begriff: was sich im Herzen vollzog, Furcht,
Hoffnung, List, waren Wirkungen der Götter. Aber wo lebten
diese außer in der eigenen Brust? Burckhardt (a. a. O.) er-
wähnt die Beschreibung eines Bildes „aus ziemlich alter Zeit“:
der als Bettler verkleidete Odysseus am Hofe des getäuschten
Priamos; die Aufzählung der Figuren ist folgende: Priamos,
Helena, die Leichtgläubigkeit, Odysseus, Deiphobos, Dolon.
„Offenbar war das Abstraktum an derjenigen Stelle eingereiht,
wo ein innerer Vorgang dargestellt werden mußte“. Wir
spüren, wie nahe göttliche und menschliche Sphäre hier ein-
ander berühren. Den entscheidenden Schritt, der diese Begriffs-
götter zu hohlen Personfikationen der menschlichen Eigen-
schaften erstarren ließ, hat der griechische Geist nie vollziehen
können. Seine irdische Welt sah er wirklich erfüllt mit gött-
lich Mächten, seine Geschicke in ewigen Gestalten verkörpert.
Auf der Dareiosvase in Neapel ist eine weibliche Gestalt in-
schriftlich als der Fluch (apa) bezeichnet, den Asien gegen
Hellas aussendet. Wir spüren den gewaltigen Sinn.
Ich denke, diese Beispiele bezeichnen jene Eigentümlich-
keit der griechischen Mythologie hinlänglich, die für ihre Um-
bildung so wichtig geworden ist: die gleiche Kraft, welche noch
den Ideen etwas Plastisch-Mythisches verlieh, idealisierte zu-
gleich den Olymp. Wir sahen, wie sich die Effekte und Be-
griffe in Eigenschaften der größeren Gottheiten verwandelten,
als sie ihre ursprünglich mythische Selbständigkeit gegenüber
dem individuellen Bewußtsein nicht mehr zu behaupten ver-
mochten. Damit lösen sich doch auch die Olympier aus dem
geschichtlichen und nationalen Raum, in dem sie entsprungen
waren und gewirkt hatten. Freiheit, Schrecken, Eintracht, Sieg
— das waren Begriffe, die auch als göttliche Mächte an keine
ethnische Eigentümlichkeit gebunden waren. Indem jetzt
’E^EiüfEpta sich in "ApTsizig ’EÄsuBepa verwandelt, jNix-/) in ’AU/jva
lösen sich auch diese großen Gottheiten aus den Wurzeln
ihrer Theogonie. Sie sind so unsterblich geworden, freilich
Cassirer, Sprache und Mythos, Leipzig 1925 S. 2: „Hier glaubt man das
Wesen jeder einzelnen mythischen Gestalt unmittelbar aus ihrem Namen
ablesen zu können“.
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Hoffnung, List, waren Wirkungen der Götter. Aber wo lebten
diese außer in der eigenen Brust? Burckhardt (a. a. O.) er-
wähnt die Beschreibung eines Bildes „aus ziemlich alter Zeit“:
der als Bettler verkleidete Odysseus am Hofe des getäuschten
Priamos; die Aufzählung der Figuren ist folgende: Priamos,
Helena, die Leichtgläubigkeit, Odysseus, Deiphobos, Dolon.
„Offenbar war das Abstraktum an derjenigen Stelle eingereiht,
wo ein innerer Vorgang dargestellt werden mußte“. Wir
spüren, wie nahe göttliche und menschliche Sphäre hier ein-
ander berühren. Den entscheidenden Schritt, der diese Begriffs-
götter zu hohlen Personfikationen der menschlichen Eigen-
schaften erstarren ließ, hat der griechische Geist nie vollziehen
können. Seine irdische Welt sah er wirklich erfüllt mit gött-
lich Mächten, seine Geschicke in ewigen Gestalten verkörpert.
Auf der Dareiosvase in Neapel ist eine weibliche Gestalt in-
schriftlich als der Fluch (apa) bezeichnet, den Asien gegen
Hellas aussendet. Wir spüren den gewaltigen Sinn.
Ich denke, diese Beispiele bezeichnen jene Eigentümlich-
keit der griechischen Mythologie hinlänglich, die für ihre Um-
bildung so wichtig geworden ist: die gleiche Kraft, welche noch
den Ideen etwas Plastisch-Mythisches verlieh, idealisierte zu-
gleich den Olymp. Wir sahen, wie sich die Effekte und Be-
griffe in Eigenschaften der größeren Gottheiten verwandelten,
als sie ihre ursprünglich mythische Selbständigkeit gegenüber
dem individuellen Bewußtsein nicht mehr zu behaupten ver-
mochten. Damit lösen sich doch auch die Olympier aus dem
geschichtlichen und nationalen Raum, in dem sie entsprungen
waren und gewirkt hatten. Freiheit, Schrecken, Eintracht, Sieg
— das waren Begriffe, die auch als göttliche Mächte an keine
ethnische Eigentümlichkeit gebunden waren. Indem jetzt
’E^EiüfEpta sich in "ApTsizig ’EÄsuBepa verwandelt, jNix-/) in ’AU/jva
lösen sich auch diese großen Gottheiten aus den Wurzeln
ihrer Theogonie. Sie sind so unsterblich geworden, freilich
Cassirer, Sprache und Mythos, Leipzig 1925 S. 2: „Hier glaubt man das
Wesen jeder einzelnen mythischen Gestalt unmittelbar aus ihrem Namen
ablesen zu können“.
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