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Simson, Otto von
Zur Genealogie der weltlichen Apotheose im Barock besonders der Medicigalerie des P.P. Rubens — Leipzig, Strassburg, Zürich: Heitz & Co., 1936

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1. Teil: Darstellung des Menschen bis zur Renaissance
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2. Kapitel: Die Feier des Menschen in der Renaissance und die religiöse Bewußtwerdung des Individuums
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https://doi.org/10.11588/diglit.63507#0059
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zur Einheit aus den beiden entgegengesetzten Elementen nur
vollzogen worden, als das eine stürzte (die von Gott einge-
setzte Hierarchie), schnellte das andere empor: das Individuum.
Die „Verweltlichung“, etwa in einer Gestalt wie Philipp dem
Schönen, zeigt diesen Vorgang doch nicht von seiner wesent-
lichen Seite. Die Entdeckung des Individuums ist damals durch-
aus in dem religiösen Raum geschehen. Der christliche Kos-
mos, w'elchen die mittelalterliche Theologie als so hoch über
der irdischen Welt des Menschen erhaben gedacht hatte, zieht
nun in den Menschen ein. Dantes ungeheures Traumgesicht ist
wie ein Gleichnis. Himmel und Hölle tun ihr Geheimnis vor
einem Lebenden auf. Die Seele des Menschen wird der Schau-
platz, darin die göttliche Weltordnung offenbar wird. Damit
tritt diese doch wieder in den Mittelpunkt des Alls. Auf die
großen Scholastiker folgen die großen Mystiker. In der Seele
des Menschen sehen sie das Wunder von Christi Menschwer-
dung sich vollziehen, hier ist, nach Eckharts Wort „das Kind-
bette der Gottheit“.1) Durch sein irdisches Leben hat Christus
uns den Weg gezeigt, auf dem wir, ihm nachfolgend, selig wer-
den können. Wie unermeßlich war damit das Vermögen der
Seele erweitert, welch göttliches Wesen muß ihr innewohnen,
wenn Gott sich in seiner Herrlichkeit zu ihr herabläßt. Welche
Möglichkeit enthält aber auch das irdische Leben, wie kann
der Mensch nun auch ohne die priesterliche Hierarchie sich
durch gerechten Wandel das Heil erwirken! Hier mußten doch
nun wieder Gedanken der antiken Philosophie, nämlich der
römischen Stoa mächtig werden. Die enge, gegenseitige Be-
ziehung zwischen ihr und der Mystik ist eindrucksvoll genug.
Die „antikische“ Menschenbildung, wie sie uns in unserer
klassischen Plastik, den Bamberger Figuren zumal, begegnet,
tritt gleichzeitig mit der Ausbreitung des Franziskanerordens
auf; als man an den Naumburger und Meißener Figuren ar-
beitet, durchziehen jene Flagellantenscharen Deutschland, die
an Christi Leiden unmittelbar, durch physische Empfindungen
teilnehmen möchten und zum Empfang der Sakramente keines
x) Vergl. Cassirer, Individuum und Kosmos in der Philosophie der
Renaissance. Leipzig 1927 S. 35.

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