betrachten; nicht mehr zu klassi-
fizieren, sondern zu genießen;
vielleicht auch nicht mehr die
Kunst als etwas außer dem all-
täglichen Leben stehendes halb
zu scheuen, halb pflichtmäßig zu
achten, sondern sie zu lieben als
die schöne Blüte des Lebens, als
den unentbehrlichen Schluß alles
hervorbringenden Strebens, als
das Göttliche in der Welt der
sinnlichen Erscheinungen. —
Schwäbische Baukunst! Sie soll
also nicht gotisch, nicht Renais-
sance, nicht modern sein? So
nicht! Vielmehr für gleichgültig
halte ich's, in was für Formen
einer sich zeigen will, ob geringelt,
gestreckt oder eckig, und für einen
Hanswursten den, der sich hin-
setzt und expreß in Renaissance
oder im Jugendstil zu entwerfen
anhebt. Formen und wieder For-
men sind's, in denen unsere Kunst
allen Sinn und Verstand verloren
hat, und Formen und wieder For-
men sind's, mit denen auf unseren
Schulen zehnmal so viel Leute,
als wir brauchen, vollgestopft werden, damit sie dann die unverstanden ge-
lehrten doppelt mißverstanden von sich geben. —
Verlangt nun einer, daß ich endlich Positives über die stammeseigentümliche
Kunst vorbringe, so käme ich in Verlegenheit, wenn ich mir nicht klar darüber
wäre, daß hier eben der Punkt ist, wo das Exakte versinkt und das Gefühls-
mäßige in sein Recht tritt. Es ist so, wie mit den Stammeseigentümlichkeiten
überhaupt: Du glaubst sie ganz genau zu erkennen; geht's aber ans Definieren,
so stellt sich heraus, daß die mathematische Methode, nach der man etwa
eine große Anzahl von Individuen addieren und dann das Mittel nehmen würde,
hier versagt. So ist's auch mit der Baukunst des schwäbischen Stammes, von
der ich wünschte, daß sie mehr als bisher wieder Allgemeingut werde. Wenn
ihr's nicht fühlt, dann isch lätz!
Theodor Fischer.
Anmerkung. Durch eine Anzahl in diesem Aufsatz verstreuter Bilder ist gezeigt, daß einzelne
Künstler schon seit längerer Zeit die heimatliche Kunst pflegen und daß in erfreulicher Weise
neuerdings eine Gruppe von Architekten mit Bewußtsein zu der vaterländischen, schlichten und
von lächerlichen Uebertreibungen freien Art zurückkehrt. Der Verfasser.
Th. Fischer
Schwäbi-
sche Bau-
kunst.
J. Cadcs in Stuttgart, Kirche zu Untertürkheim. Ausgeführt von
Gebrüder Staiber in Untertürkheim.
49
fizieren, sondern zu genießen;
vielleicht auch nicht mehr die
Kunst als etwas außer dem all-
täglichen Leben stehendes halb
zu scheuen, halb pflichtmäßig zu
achten, sondern sie zu lieben als
die schöne Blüte des Lebens, als
den unentbehrlichen Schluß alles
hervorbringenden Strebens, als
das Göttliche in der Welt der
sinnlichen Erscheinungen. —
Schwäbische Baukunst! Sie soll
also nicht gotisch, nicht Renais-
sance, nicht modern sein? So
nicht! Vielmehr für gleichgültig
halte ich's, in was für Formen
einer sich zeigen will, ob geringelt,
gestreckt oder eckig, und für einen
Hanswursten den, der sich hin-
setzt und expreß in Renaissance
oder im Jugendstil zu entwerfen
anhebt. Formen und wieder For-
men sind's, in denen unsere Kunst
allen Sinn und Verstand verloren
hat, und Formen und wieder For-
men sind's, mit denen auf unseren
Schulen zehnmal so viel Leute,
als wir brauchen, vollgestopft werden, damit sie dann die unverstanden ge-
lehrten doppelt mißverstanden von sich geben. —
Verlangt nun einer, daß ich endlich Positives über die stammeseigentümliche
Kunst vorbringe, so käme ich in Verlegenheit, wenn ich mir nicht klar darüber
wäre, daß hier eben der Punkt ist, wo das Exakte versinkt und das Gefühls-
mäßige in sein Recht tritt. Es ist so, wie mit den Stammeseigentümlichkeiten
überhaupt: Du glaubst sie ganz genau zu erkennen; geht's aber ans Definieren,
so stellt sich heraus, daß die mathematische Methode, nach der man etwa
eine große Anzahl von Individuen addieren und dann das Mittel nehmen würde,
hier versagt. So ist's auch mit der Baukunst des schwäbischen Stammes, von
der ich wünschte, daß sie mehr als bisher wieder Allgemeingut werde. Wenn
ihr's nicht fühlt, dann isch lätz!
Theodor Fischer.
Anmerkung. Durch eine Anzahl in diesem Aufsatz verstreuter Bilder ist gezeigt, daß einzelne
Künstler schon seit längerer Zeit die heimatliche Kunst pflegen und daß in erfreulicher Weise
neuerdings eine Gruppe von Architekten mit Bewußtsein zu der vaterländischen, schlichten und
von lächerlichen Uebertreibungen freien Art zurückkehrt. Der Verfasser.
Th. Fischer
Schwäbi-
sche Bau-
kunst.
J. Cadcs in Stuttgart, Kirche zu Untertürkheim. Ausgeführt von
Gebrüder Staiber in Untertürkheim.
49