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Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1905-1906

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Mayer, J.: Das neue Frauenkleid
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https://doi.org/10.11588/diglit.6371#0113
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Fig. 3. Rückansicht eines schwarzen
Samtkleides mit Einsatz und Stickerei
aus dunkelgelber Seide, Entworfen und
ausgeführt von Else Raydt in Stuttgart.
(Vgl. Fig. 4.) D. Nr. 752.

Fig. 4. Schwarzes Samtkleid (Vorder-
ansicht des links abgebildeten Klei-
des). D. Nr. 755.

Fig. 5. "Weities Leinenkleid mit schwarz
und gelber Stickerei. Entworfen und
ausgeführt von Filse Raydt, Kunstmalerin
in Stuttgart. D. Nr. 754.

Pariser Mode. Die Arbeiterin arbeitet mit geschnürtem Leib und das junge
Leben eines werdenden Menschen entwickelt sich unter Stahl und Fischbein.

Die Ablegung des Korsetts ist aber auch eine Forderung nach den Ge-
setzen der Schönheit. Ein geschnürter Körper verliert nicht nur seine schönen
Formen, er verliert auch die Anmut und Natürlichkeit seiner Bewegungen,
er verliert das Ebenmaß und die weichen Linien, die wir an den Meisterwerken
der Bildhauerkunst bewundern.

Der Begriff Schönheit muß in bezug auf den Frauenkörper erst wieder
geweckt werden. Vorerst ist das Auge noch daran gewöhnt, einen bekleideten
Frauenkörper in naturwidriger, entstellender Form zu sehen. Eine scharfe
Einschnürung preßt Brust und Hüften unschön heraus. Betrachtet man die
heutige Modedame ich meine damit eine solche, die mit besonderer Ge-
wissenhaftigkeit die von Paris vorgeschriebene Körperverkrümmung nach-
ahmt so scheint Obel"- und Unterkörper gar nicht zusammenzugehören.
Die Brust strebt dem übrigen Körper weit voraus, der Unterleib wird in eigen-
artiger Biegung nach hinten gezwängt zu einem fürchterlichen Aufbau. Die
Korsettschnüre müssen stark angezogen werden, wobei oft die Türklinke mit-
helfen muß, um dem Körper den vorgeschriebenen Umfang zu geben. Je fester,
je gepanzerter und je enger der Taillenumfang, um so besser und schöner.

Die Erkenntnis, daß uns unser Schönheitsbegriff in bezug auf Frauenkörper
und Frauenkleidung abhanden gekommen ist und daß die Frau mit der sinn-

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