der Fall ist, tauscht der Kaufmann des Orts die Spitzen gegen andere "Waren aus.
Doch ist dieser Vertrieb nicht die Regel. Die Spitzen in Köngen zum Beispiel
werden nicht durch den Hausierhandel vertrieben, sondern hauptsächlich durch
Krimmel & Comp, in Reutlingen. Es findet auch kein Austausch statt. Hier über-
nimmt Frau Dr. "Weishaar, die sich der Spitzenindustrie seit Jahren energisch an-
genommen hat, gegen Barzahlung alle fertige Arbeiten.
Nicht gering ist der Gewinn anzuschlagen, den das Spitzenklöppeln diesen Dörfern
bringt. Kinder können den "Winter hindurch 50 bis 60 Mark verdienen. Konfirmanden
erwerben sich ihre kleine Aussteuer zur Konfirmation, und manche Hausmutter kann
ihren jährlichen Bedarf an "Weißzeug, Kleidungsstücken und Haushaltungsgegenständen
durch den Verdienst der Familie beim Klöppeln bestreiten. Wer die ländlichen Ver-
hältnisse kennt, weiß, was das bedeutet. Die Klöppler und Klöpplerinnen sind dem-
nach in der Hauptsache Feldarbeiter. Daneben gibt es aber in jeder Gemeinde noch
eine Anzahl von Personen, die irgend eines körperlichen Gebrechens wegen bei der
Landwirtschaft nicht mithelfen können, und die auch in den Fabriken nicht begehrt
sind, die aber am Klöppelkissen Vorzügliches leisten. Solche Leute, die sich durch
Klöppeln ihren Lebensunterhalt verdienen wollen oder müssen, sind übel daran. Eine
fleißige und geschickte Arbeiterin verdient dabei täglich höchstens eine Mark. Die
einfachen "Weißzeugspitzen, die gewöhnlich hergestellt werden, werden eben zu schlecht
bezahlt. Fragt man nun, warum keine besseren Spitzen verfertigt werden, so erhält
man zur Antwort, daß sich eine solche Arbeit noch weniger lohnt, da teurere Spitzen
schwäbischen Ursprungs keine Abnehmer finden. "Wer mehr Geld für Spitzen aus-
geben kann und will, kauft sich eben ausländische. Zugegeben sei, daß unsere ziemlich
isolierte Industrie, die höchstens mit der gleichartigen böhmischen etwas Fühlung
gehabt hat, mit der Zeit rück-
ständig geworden ist. Dem
ließe sich aber abhelfen. Ge-
genwärtig geschieht so viel
durch die Kunst und für die
Kunst in Schulen, beim Bau der
Häuser, beim Ausschmücken
der "Wohnungen, bei der An-
fertigung der Kleidungsstücke.
Warum sollen nicht auch un-
sere schwäbischen Klöppler
und Klöpplerinnen einen Hauch
des neuen Geistes verspüren ?
Die althergebrachten, von Ge-
schlecht zu Geschlecht ver-
erbten Spitzenmuster müssen
durch neue, dem Geschmack
der Jetztzeit angepaßte, ersetzt
werden. Freilich, so schöne
und kunstvolle Spitzen, wie wir
sie in den modernen Spitzen-
werken vorfinden,* werden in
den schwäbischen Dörfern zu-
nächst nicht verfertigt werden
können ; einfachere tun's aber
auch. Und gerade an ein-
fachen Spitzen ist der Bedarf
ein sehr großer: Spitzenver-
zierungen finden wir überall,
an Leibwäsche und Bettzeug,
an Vorhängen und DeckeD, an
"Wiegen und Schränken ! Und
da soll es an Käufern fehlen?
Wenn also einmal geschmack-
vollere Spitzenmuster bei uns Eingang gefunden haben, so müßte für besseren Absatz
gesorgt werden. Auch das dürfte nicht zu schwer halten. Wir haben große Frauen-
vereine und sonstige Vereinigungen, die in der Sache sehr viel tun können. Und wenn
sich für diese wenigen Zeilen Raum finden sollte in den ..Mitteilungen" des Kunst-
gewerbevereins, so glaubt der Einsender schon etwas erreicht zu haben. Gewiß kann
sich unsere Spitzenindustrie, wenn sich der Kunstgewerbeverein ihrer annimmt, da, wo
sie ist, halten; vielleicht kann sie wieder aufblühen zum Nutzen unseres Volkes und
Landes. Gewiß wird es dann auch nicht an einem Stamm tüchtiger Arbeiter fehlen,
die sich die Anfertigung von Spitzen zum Lebensberuf machen und mit Erfolg in den
allgemeinen Konkurrenzkampf eintreten können. Hoffmann.
Hoffmann,
Eine
schwäbi-
sche Haus-
industrie.
Zu dem vorliegenden anregenden Aufsatz von Herrn Reallehrer Hoffmann in
Kirchheim u. Teck schreibt uns ein Kenner der Albindustrie, dem wir die Abhandlung
vor dem Druck zur Durchsicht übersandten, unter anderem das Folgende, das wir mit der
Aufforderung abdrucken, es möchten sich junge künstlerische Kräfte der Sache widmen.
* Vgl. solche in Heft 2, 1902/03, S. 98/99 der Vereinsmitteilungen.
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Doch ist dieser Vertrieb nicht die Regel. Die Spitzen in Köngen zum Beispiel
werden nicht durch den Hausierhandel vertrieben, sondern hauptsächlich durch
Krimmel & Comp, in Reutlingen. Es findet auch kein Austausch statt. Hier über-
nimmt Frau Dr. "Weishaar, die sich der Spitzenindustrie seit Jahren energisch an-
genommen hat, gegen Barzahlung alle fertige Arbeiten.
Nicht gering ist der Gewinn anzuschlagen, den das Spitzenklöppeln diesen Dörfern
bringt. Kinder können den "Winter hindurch 50 bis 60 Mark verdienen. Konfirmanden
erwerben sich ihre kleine Aussteuer zur Konfirmation, und manche Hausmutter kann
ihren jährlichen Bedarf an "Weißzeug, Kleidungsstücken und Haushaltungsgegenständen
durch den Verdienst der Familie beim Klöppeln bestreiten. Wer die ländlichen Ver-
hältnisse kennt, weiß, was das bedeutet. Die Klöppler und Klöpplerinnen sind dem-
nach in der Hauptsache Feldarbeiter. Daneben gibt es aber in jeder Gemeinde noch
eine Anzahl von Personen, die irgend eines körperlichen Gebrechens wegen bei der
Landwirtschaft nicht mithelfen können, und die auch in den Fabriken nicht begehrt
sind, die aber am Klöppelkissen Vorzügliches leisten. Solche Leute, die sich durch
Klöppeln ihren Lebensunterhalt verdienen wollen oder müssen, sind übel daran. Eine
fleißige und geschickte Arbeiterin verdient dabei täglich höchstens eine Mark. Die
einfachen "Weißzeugspitzen, die gewöhnlich hergestellt werden, werden eben zu schlecht
bezahlt. Fragt man nun, warum keine besseren Spitzen verfertigt werden, so erhält
man zur Antwort, daß sich eine solche Arbeit noch weniger lohnt, da teurere Spitzen
schwäbischen Ursprungs keine Abnehmer finden. "Wer mehr Geld für Spitzen aus-
geben kann und will, kauft sich eben ausländische. Zugegeben sei, daß unsere ziemlich
isolierte Industrie, die höchstens mit der gleichartigen böhmischen etwas Fühlung
gehabt hat, mit der Zeit rück-
ständig geworden ist. Dem
ließe sich aber abhelfen. Ge-
genwärtig geschieht so viel
durch die Kunst und für die
Kunst in Schulen, beim Bau der
Häuser, beim Ausschmücken
der "Wohnungen, bei der An-
fertigung der Kleidungsstücke.
Warum sollen nicht auch un-
sere schwäbischen Klöppler
und Klöpplerinnen einen Hauch
des neuen Geistes verspüren ?
Die althergebrachten, von Ge-
schlecht zu Geschlecht ver-
erbten Spitzenmuster müssen
durch neue, dem Geschmack
der Jetztzeit angepaßte, ersetzt
werden. Freilich, so schöne
und kunstvolle Spitzen, wie wir
sie in den modernen Spitzen-
werken vorfinden,* werden in
den schwäbischen Dörfern zu-
nächst nicht verfertigt werden
können ; einfachere tun's aber
auch. Und gerade an ein-
fachen Spitzen ist der Bedarf
ein sehr großer: Spitzenver-
zierungen finden wir überall,
an Leibwäsche und Bettzeug,
an Vorhängen und DeckeD, an
"Wiegen und Schränken ! Und
da soll es an Käufern fehlen?
Wenn also einmal geschmack-
vollere Spitzenmuster bei uns Eingang gefunden haben, so müßte für besseren Absatz
gesorgt werden. Auch das dürfte nicht zu schwer halten. Wir haben große Frauen-
vereine und sonstige Vereinigungen, die in der Sache sehr viel tun können. Und wenn
sich für diese wenigen Zeilen Raum finden sollte in den ..Mitteilungen" des Kunst-
gewerbevereins, so glaubt der Einsender schon etwas erreicht zu haben. Gewiß kann
sich unsere Spitzenindustrie, wenn sich der Kunstgewerbeverein ihrer annimmt, da, wo
sie ist, halten; vielleicht kann sie wieder aufblühen zum Nutzen unseres Volkes und
Landes. Gewiß wird es dann auch nicht an einem Stamm tüchtiger Arbeiter fehlen,
die sich die Anfertigung von Spitzen zum Lebensberuf machen und mit Erfolg in den
allgemeinen Konkurrenzkampf eintreten können. Hoffmann.
Hoffmann,
Eine
schwäbi-
sche Haus-
industrie.
Zu dem vorliegenden anregenden Aufsatz von Herrn Reallehrer Hoffmann in
Kirchheim u. Teck schreibt uns ein Kenner der Albindustrie, dem wir die Abhandlung
vor dem Druck zur Durchsicht übersandten, unter anderem das Folgende, das wir mit der
Aufforderung abdrucken, es möchten sich junge künstlerische Kräfte der Sache widmen.
* Vgl. solche in Heft 2, 1902/03, S. 98/99 der Vereinsmitteilungen.
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