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Stuttgarter Mitteilungen über Kunst und Gewerbe — 1905-1906

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Obrist, Hermann: Das Problem der modernen Plastik. Von Hermann Obrist in München: Vortrag, gehalten am 6. Dezember 1904 im württembergischen Kunstgewerbeverein zu Stuttgart
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https://doi.org/10.11588/diglit.6371#0162
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H. Obrist, Künstler das subjektivste Tier auf Erden sein und besser daran tun zu
Das Pro- schweigen. Bilde, Künstler, rede nicht! so ruft man ihm zu. Was man
blem der keinem Arzte und keinem Architekten, keinem Ingenieur und keinem Stadtrate
modernen versagen würde: über sein Fach, über die Arbeiten seiner Kollegen im ganzen
Plastik. Deutschen Reiche Vorträge zu halten und sogar direkt kritische Ansichten zu
äußern, damit man gemeinschaftlich auf dem Gebiete, sagen wir, der Hygiene,
des Brückenbaus usw. vorwärts komme, das wird dem Künstler versagt. Aber
ich glaube auch die Zeit wird kommen (denn die angewandte Kunst und die
Architektur zwingen ja förmlich dazu), wo man es für richtiger halten wird,
wenn die Künstler sich auch bewußt zu ihren Problemen stellen und soweit
kommen, daß sie gemeinschaftlich an diese Probleme herangehen, die ein Ein-
zelner gar nicht lösen kann, sondern die sehr vielfach in Gemeinschaft mit
anderen gelöst werden müssen. Und die dritte, psychische Schwierigkeit be-
steht doch wohl darin, daß einer zu guter Letzt auch vor mich hintreten kann
und sagen: was hast denn Du gemacht, welche Arbeiten hast denn Du in der
Plastik hergestellt, daß Du Dich unterfängst, über die Frage der Zukunfts-
plastik so öffentlich zu reden? Damit ist dann, da die Arbeiten wahrschein-
lich mißfallen werden, scheinbar auch die Berechtigung derartiger Erörterungen
seitens des Künstlers ausgeschlossen.

Und dennoch, verehrte Anwesende, wollen wir es riskieren, mutig an die
Sache heranzugehen.

Wir fragen also: warum haben wir keine moderne Plastik?
Modern: das ist zeitgemäß, zeitentsprechend, entsprechend den Bedürfnissen
einer Zeit, entsprechend der gewaltigen Entwicklung der Techniken einer Zeit,
entsprechend den seelischen Interessen und Sehnsuchten, die eine Zeit hat,
aber auch entsprechend dem gewaltig angewachsenen Reichtum an Erlebtem,
an Formenkenntnis und an Anschauungsmaterial, den wir auf allen Gebieten
errungen haben.

In diesem Sinne müssen wir uns fragen: was ist denn eigentlich von moder-
ner Plastik vorhanden? Vor einigen Wochen wurde ich zufälligerweise zu
diesem Thema durch eine Antwort angeregt, die mir in München zuteil wurde.
"Wir sprachen in Kollegenkreisen darüber und ich sagte ebenfalls: wir haben
keine moderne Plastik. Darauf wurde mir geantwortet: wie können Sie so
einen Unsinn reden, wir haben ja Rodin. Jawohl, sagte ich, Rodin ist sehr
modern, aber ich habe ja gar nicht gesagt: es gibt keine moderne Plastik,
sondern ich habe nur gefragt: warum haben wir keine moderne Plastik, nicht:
warum haben die Franzosen etc. etc. sondern warum haben wir Deutschen
keine moderne Plastik? Denn aus dem Umstände, daß sehr viele junge Bild-
hauer im ganzen Reich sich eifrig als echte wahre Deutsche bemühen, den
Rodin nachzumachen und ein spezifisch lateinisch-pariserisches Nervenleben
sich anzueignen, um, uns das nachher in ihrer Kleinplastik zu offenbaren, ge-
rade daraus ist ja zu entnehmen, daß wir eine einheimische moderne Plastik
gar nicht haben.

Nun, sagt man uns ferner, das mag ja soweit stimmen, lassen wir also ein-
mal Rodin; aber das können Sie nicht leugnen: so massenhaft und in so
großartiger Weise wie jetzt gerade Plastik im ganzen Deutschen Reiche auf-
gestellt wird, wird wohl kaum in einem anderen Lande aufgestellt und das
ist doch alles moderne Plastik. — Ich habe Sie aber doch vorgestern über

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