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Bildnerei der mykenischen Zeit.

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Motiv (Fig. 96). Mnn denkt nnwMnrlich an den typischen Gegensatz friedticher und kriegerischer
Scenen in der homerischen Schikdbeschreibung. Damit läßt sich ein sehr gut gearbeiteter Kuh-
kopf von Silber mit vergoldeten Hörnern vergleichen. Auch hier tritt die Vorzüglichkeit dieser
Werke in helles Licht durch die Vergleichuug mit anscheinend ähnlichen Werken geringerer Kunst-
art. So stellen sich neben die Goldbecher von Vciphio die Neste einer Wandmalerei in Tiryns;
sie stellen einen im wilden Rennen begriffenen Stier dar, über dessen Rücken ein Mann springt,
eine kindliche Weise, ihn als im Hintergrnnd dem Stiere nachsetzend zn bezeichnen. Die Art
der Zeichnung, namentlich in der Meuschensignr, ist der der Goldbecher ähnlich, dies genügt aber
doch nicht, um alle Zweifel zu beseitigen, ob auch jene anserlesenen Arbeiten an Ort und Stelle
entstanden, ob sie nicht vielleicht anf dem Handelswege aus der Ferne dorthin gelaugt sind. Ob
wir es hier überhanpt mit einer ihrer Gesamtheit nnd ihrem Nrsprnnge nach einheimischen
(achäischen, pelasgischen) Knnstübung zu thun haben, ob wir die vor den Griechen im Jnselnieer
ansässigen Karer dafür verantwortlich zu machen, ob wir ihre klrsprünge im sernen Osten (Nord-
syrien?) zu suchen haben, darüber gehen die An-
sichten noch auseinander. PhönizischeEinflüssescheinen
in dem Goldschmuck erkennbar, und an die Phö-
nizier denkt man auch als Vermittler des Handels
mit dem Orient; so erscheinen sie ja anch in den
homerischen Gedichten.

Sicher gehören der einheimischen Kunst jener
alten Kulturperiode zwei Arten niederer Technik
an. Einmal die sog. mykenischen Thongefäße,
bereits auf der Töpferscheibe gearbeitet, deren Er-
findung einen wichtigen Wendepunkt in der Kultnr-
geschichte bezeichnet. Sie sind mit aufgemalten
Ornamenten geschmückt (Fig. 97). Diese weisen
neben mancherlei anderen Darstellnugeu eigentümliche
Pflanzen, gleichsam im Wasser bewegt, und See-
tiere anf, deutliche Erzeuguisse der Kunst eines an
und auf dem Meere lebenden Volkes, aber wenig
entwickelungsfähig. Vereinzelt treten anch schou Menschendarstellnngen daneben, ganze Reihen voll-
bewaffueter homerischer Krieger in schmächtiger Gestalt mit ungeheuren Nasen. Die zweite Gattung
bilden die sogenaunten Jnselsteine. Gemmen, Bilder, in weiche oder härtere, am Strande des Meeres
anfgelesene kleine Steine eingegraben, die durchbohrt, also bestimmt sind, aneinander gereiht zu
werdeu, kommen auf dem Festlande Griechenlauds lvie auf den Jnseln, insbesondere anf Kreta,
in großer Zahl znm Vorschein. Sie entlehnen in einzeluen Fällen die Gegenstände ihrer Dar-
stellung dem Orieut, namentlich in den aus Mensch und Tier gebildeten dNischgestalten, sie
schildern aber vielfach auch neue, offenbar heimische Objekte, wie außer Seetieren das Pferd;
sie versinnlichen, wenn auch in grober Weise, Hellenische Mythen, z. B. die Fesselung des Pro-
metheus, uud zeigen, was das wichtigste ist, in der Technik, sowie in der Anordnnng und Zeichnung
eine Verwandtschaft mit den Goldbildern von Mykenä und mit dem Schmuck anf den ältesten
Thongefäßen.

Die Jnselsteine fallen iu deu Bereich der volkstüntlichen Kunst und beweisen die lang-
dauernde Herrschaft eines einheitlichen Stiles, den wir eben den mykenischen Stil zu nennen
pflegen. Daß daneben auch noch ganz Primitive Werke entstanden und mannigfache Beziehnngen
zur orientalischen Knnst, teilweise vermittelt durch die Verpflanzung orientalischer (semitischer)

Fig. 97.

Brnchstück einer vemalten Nase.
Mykenä. (Schliemann.)
 
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