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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0037
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3. Carstens und Thorwaldsen.

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frischen, sondern daß er die Szene noch einmal selbständig durchdacht und im Geiste nach-
geschaffen hat. Daher stammt die lebendige Empfindung, welche die Schilderung trotz dem
dürftigen szenischen Apparat und den überaus einfachen technischen Mitteln durchweht. Die
Formen find, wie es der Studiengang Carstens' mit sich brachte, etwas allgemein gehalten;
statuarische Werke und nicht Naturmodelle klingen an, die scharf zugespitzte Individualität tritt
gegen das typisch Gültige zurück und wird durch die Rücksicht aus maßvolle Linienschönheit ge-
dämpft. Die Umrisse der einzelnen Figuren, die geschlossene Komposition der ganzen Gruppen
lassen den plastischen Zug in der künstlerischen Natur des Meisters erkennen. Er hat sich selbst
einigemal im Modellieren versucht, und es erscheint durchaus begreiflich, daß die von Carstens
begonnene Art von einem Bildhauer der Vollendung zugeführt wurde.
Bertel Thorwaldsen (1770—1844) gehört nach Geburt und äußerer Lebensstellung
dem dänischen Volke an. Mit Recht feiern ihn seine Landsleute als den größten Künstler ihres
Stammes und haben ihm in dem Thorwaldsenmuseum zu Kopenhagen das schönste Denkmal
gesetzt, das ein Künstler wünschen kann (s. unten). Seine Stellung in der modernen Kunst-
geschichte wird aber durch seinen langen römischen Aufenthalt (1797—1819, 1820—1838)
und seine sich vielfach an Carstens anschließende Auffassung der Kunst und der Antike bestimmt.
Thorwaldsen war nach seinem Ruhm ein europäischer Künstler; solange er lebte— und die neid-
losen Götter hatten ihm ein langes, glückliches Leben geschenkt —, wurde ihm als dem ersten Bild-
hauer aller Völker gehuldigt. Doch rechnen ihn weder Franzosen noch Italiener zu ihrem Künstler-
kreise, während wir mit Recht behaupten können, daß er im Gegensatz zur romanischen Auffassung
die Antike, wie sie der germanischen Bildung als Ideal vorschwebte, wieder belebt und in die
moderne Plastik eingeführt hat. Als Sohn eines Bildschnitzers lernte Thorwaldsen die Handwerks-

seite seiner Kunst frühzeitig kennen. Im Jahre 1797
kam er als Stipendiat nach Rom; ohne ein größeres
Marmorwerk vollendet zu haben, wäre er 1803 in
seine Heimat zurückgekehrt, wenn nicht die Bestellung
des Jason durch einen englischen Kunstfreund am
Tage der Abreise sein Bleiben in Rom entschieden
hätte. Thorwaldsen hatte diese Statue bereits 1801
modelliert und im folgenden Jahre noch größer und
in den Einzelformen sorgfältiger entworfen. Jason,
mit dem erbeuteten goldenen Vließ auf dem Arm,
wirft, ehe er Kolchis verläßt, noch einen Blick voll
triumphierenden Stolzes auf den besiegten Drachen
zurück (Abb. 19). Die einfache Wahrheit in der Auf-
fassung, frei von aller Übertreibung und von allem
Prunken mit der Schönheit der Glieder, die glückliche
Vermählung der augenblicklichen Bewegung mit der
gemessenen Ruhe im ganzen Auftreten unterschieden
die Statue von allen gleichzeitigen plastischen Heroen-
bildern und offenbarten eine erfolgreiche Wandlung
des herrschenden Stils. Seitdem stieg Thorwaldsens
Ruhm stetig empor; ununterbrochen entfaltete sich
seine Wirksamkeit. Seine Werkstatt füllte sich bald
mit dänischen, deutschen und italienischen Künstlern,
und so rasch auch die Schülerzahl wuchs, so ge-

19. Jason, von B. Thorwaldsen.


Springer-Osborn, Kunstgeschichte. V. 5. Aust.
 
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