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Springer, Anton; Osborn, Max [Hrsg.]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0147
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1. Das moderne Programm.

123

zu sehr von unmittelbarem
Zeit- und Lebensgefühl er-
füllt, um die Reaktion mitzu-
machen, war überdies durch
seine insulare Lage von den
übrigen Nationen genugsam
getrennt, um sich gegen ihre
Einflüsse erfolgreich wehren
zu können. Wie die Briten
von Spaniern und Holländern
die Herrschaft zur See, so
übernahmen sie von ihnen
auch das Erbe des modernen
Kunstgefühls, um es nun, mit
dem Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts, langsam wieder
dem Kontinent zurückzugeben,
von dem sie es empfangen.
Aber es war von vornherein
nicht lediglich der enge An-
schluß an die Natur, den sie
hier predigten, sondern zu-
gleich die subjektive Erfassung
und Verarbeitung der Natur
durch den Künstler. Von der
Absicht eines nüchtern-objek-
tiven Reproduzierens der Wirk-
lichkeit, wie sie die Gegner
Jahrzehnte hindurch der mo-
dernen Kunst znm Vorwnrf


128. Lady Hume Campbell, von H. Raeburn.
Edinburgh, Corporcttion Art Gallery.
(Phot. Hanfstaengl)

machten, war tatsächlich niemals die Rede. Immer ist es die Persönlichkeit des Künstlers ge-
wesen, die den Ausschlag gab, und die Art, wie seine Individualität auf den Natureindruck re-
agierte; nur daß das Agens seiner Arbeit, eben jener Eindruck, allerdings in engerem Anschluß
an die Wirklichkeit und die Wahrheit gesucht wurde.
Als diese englische Kunst, deren Fürsten Turner und Constable sind, werbend und er-
obernd über den Kanal kam, stieß sie hier hauptsächlich auf feindliche Mächte, die es im Kampfe
zu überwinden galt. Aber sie sand doch auch natürliche Bundesgenossen vor in einer Minorität,
deren Angehörige, ohne Erfolg und zum großen Teil unbeachtet, in zähem Ringen mit den
herrschenden Anschauungen die altheiligen Traditionen des siebzehnten Jahrhunderts still und
treu bewahrt und sachte fortentwickelt hatten. Es war immerhin ein Boden da, in den sich
die neuen Keime senken ließen. In Frankreich, dem großen Kunstlande, trieben sie zuerst ihre
Blüten. Langsam folgten die anderen Völker, Deutschland erst in der letzten Reihe. Und Frankreich
übernahm nun mit bewundernswerter Kraft die weitere Ausbildung der modernen Prinzipien.
Wenn wir heute die Aufgaben überblicken, deren Bewältigung hier hintereinander unternommen
wurde, so schließen sie sich zu einer logischen Reihe zusammen. Vor allem handelt es sich
darum, das persönliche Erlebnis des Künstlers vor der Natur und dem Leben der Gegenwart
 
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