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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0315
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1. Der Impressionismus und die Franzosen.

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Venezianer, denen die Farbe selbst als die Seele ihrer Bilder galt, der Naturalismus des
siebzehnten Jahrhunderts, der ihnen folgte, die Farbenglut Rubens', das Helldunkel Caravaggios,
die Lichteffekte Riberas, die intime Tonmalerei der Niederländer, das prickelnde Lichterspiel der
Rokokomaler, die Vornehmkuhle Farbenskala des Velasquez, — das alles hatte man nachzu-
ahmen versucht, um dem „Malerischen in der Malerei" wieder zu seinem Rechte zu verhelfen.
Doch an keiner dieser Stationen konnte man dauernde Ruhe finden; denn überall empfand man
nach der ersten Überraschung die rückwärtsziehende und schließlich lähmende Kraft, die der aus-
schließliche Verkehr mit der Kunst verklungener Zeiten ausüben mußte. Es blieb ein Rest —
was war es, das man vermißte? „Licht und Farbe und bewegendes Leben als reine Er-
kenntnis", so hatte der Hamburger Philipp Otto Runge im Anfang des Jahrhunderts das Ziel
der neuen Kunst bezeichnet, ohne es in der Praxis erreichen zu können. Nun erklang ein
neues Feldgeschrei: „Was uns not tut, ist die Sonne, die freie Luft, eine Helle und junge
Malerei. Laßt die Sonne herein und gebt die Gegenstände so wieder, wie sie sich in tagheller
Beleuchtung zeigen!" Es war der junge Emile Zola, der diese Worte schrieb, llnd der Kreis
der jungen Pariser Maler, aus deren Anschauungswelt er seine revolutionäre Forderung erhob,
ist es gewesen, der nach so vielen Anläufen und Versuchen die Prinzipien der Malerei nun
endlich und wirklich von Grund aus revidierte und umgestaltete. Edouard Manet (1833
—1883) ward ihr Führer, und das Banner, unter dem sie zu Kampf und Sieg auszogen,
trug den Namen des „Impressionismus".
Das Ziel, um das es sich hier handelte, war etwa dieses: Das geschärfte Auge der jungen
Künstlergeneration erkannte klarer als der Blick ihrer Vorgänger die wesentliche und grund-
legende Bedeutung des Lichtes. Es ist kein Zweifel, daß sich nicht nur die geistigen An-
schauungen der Menschen entwickeln, sondern auch ihre physischen Anlagen. Das neunzehnte
Jahrhundert hat ohne Frage unsere Sehkraft bedeutend erhöht, wir sind empfindlicher geworden
für den Eindruck von Bewegungen, das ganze Tempo unseres Lebens und die Anspannung,
die es erfordert, haben uns zu einem blitzschnellen Erfassen jeder momentanen Erscheinung
erzogen, das Mikroskop hat unser Auge für die Erkenntnis der kleinsten und feinsten Dinge
geschärft, unser Lichtbedürfnis ist ungeheuer gewachsen. Die Erfindungen und Entdeckungen der
Zeit und die neuen Formen des Lebens, die durch sie bestimmt wurden, haben ihren Anteil
daran. Das alles mußte sich in der Malerei widerspiegeln. So unerhört und unvorbereitet,
wie man vor vierzig Jahren glaubte, waren zwar die Neuerungen der Impressionisten nicht.
Heute, wo die moderne Kunst ihre revolutionären Allüren abgelegt hat, bürgerlich geworden ist
und sich sogar schon nach Aristokratenart auf ihren Stammbaum besinnt, erkennt man deutlich,
daß die Fäden bis in die Renaissancezeit zurücklaufen. Schon Piero della Francesca kannte
ein Helles, kühles Licht, dem sich die Farben unterordneten, und andre Quattrocentisten kamen
ihm darin nahe. Im siebzehnten Jahrhundert hatte das Genie des Velazquez Bilder hervor-
gezaubert, in denen die Licht- und Luftschicht der Atmosphäre die Lokalfarben zu wunderbarer
Einheit bindet. Sein spanischer Landsmann Goya war hundert Jahre später auf diesem Wege
weiter geschritten. In England hatte Turner die Zauber des Lichts mit einer Kühnheit, bei
der ihm kein früherer Meister den Weg wies, in seine Gemälde strömen lassen. Die Kapitel
des vorigen Abschnitts haben uns wiederholt auf Kunstwerke hingewiesen, in denen die im-
pressionistischen Forderungen oft überraschend vorklangen. In Frankreich selbst hatte unmittelbar
vor Manets Auftreten Gustave Courbet die schweren Farben seiner Bilder durch ein Helles,
klares Licht unterbrochen. Und nun kam schließlich noch eine Anregung von einer Seite hinzu,
von der man sie nicht vermutet hatte: vom Anfang der sechziger Jahre an und besonders auf
der Pariser Ausstellung von 1867 lernte Europa mit Staunen die ursprüngliche Kunst der
Springer-Osborn, Kunstgeschichte. V. 5. Aufl. 18
 
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