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Springer, Anton; Osborn, Max [Editor]
Handbuch der Kunstgeschichte (Band 5): Das 19. Jahrhundert — Leipzig, 1909

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https://doi.org/10.11588/diglit.30792#0411
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2. Die moderne Malerei in Deutschland.

351

herbeizuführen. Die Landschaft der Karlsruher zeigt deutlich das Streben zu solchen Zielen,
das andere mit ihnen teilen. Vor allem die Künstlergruppe, die sich unter der Führung
Ludwig Dills (geb. 1848) aus der Unruhe Münchens in das nahe Dachau zurückzog und
unter dem Einfluß der von ähnlichen Tendenzen erfüllten Landschaftskunst der Schotten stand.
Dill war zuerst als Maler der Lagunen von Venedig bekannt geworden, die er aus der hell-
blaurosigen Schönmalerei der italienischen Bazarkünstler erlöste, indem er die weite Herrlichkeit
jener Inselwelt und die Pracht des grünen Wassers, das sie umspült, gewissenhafter studierte
und ernster betrachtete (Abb. 375). Dann schwenkte Dill zum Schottentum ab und schwelgte
in den weichen, verschwommenen Nebeltönen der Maler von Glasgow, in denen er die Hügel,
Bäume und Büsche des Dachauer Moor-
landes als dunkle graugrüne oderbraun-
grüne Silhouetten gegen den helleren
Dunst des Himmels stellt. Eine Mittel-
stellung etwa zwischen den Karlsruhern
und den Dachauern nehmen die Künstler
ein, die sich in das niederdeutsche Dorf
Worpswede nahe bei Bremen zurück-
zogen: Fritz Mackensen (geb. 1866,
Abb. 376), Otto Modersohn (geb.
1865), Heinrich Vogeler (geb. 1872),
Fritz Overbeck (geb. 1869), Hans
am Ende (geb. 1864), Karl Vinnen
(geb. 1863). Die niedersächsische Ebene,
der spröde Ernst ihrer flachen Felder,
ihre von üppigen Bäumen bestandenen
Sumpfreviere, das ist ihre Domäne.
Auch hier herrscht ein Hinarbeiten auf
große, geschloffene Bildwirkung, auf
abgerundete Stimmung vor. Oft
nicht ohne Gefahr für den male-
rischen Ausdruck. Doch ein gesundes
Naturgesühl schützte die Worpsweder
vor schlimmeren Entgleisungen und
setzte sich häufig genug in Bildern
von stärkster, unmittelbarster Wirkung durch. In letzter Zeit find die Mitglieder der Kolonie
nach verschiedenen Richtungen ausstrahlend ihre eigenen Wege gegangen. Interessant hat sich
dabei besonders Vogeler entwickelt, der Romantiker der Gruppe, der in zarten, lichten Bildern und feinen
Radierungen halb ritterliche, halb biedermeierische deutsche Märchenszenen voll keuscher Poesie
hervorzauberte (Abb. 377), auch zu dekorativen Malereien überging, die ihn schließlich ganz
ins Kunstgewerbe führten.
Die Landschaftsmalerei beweist deutlich, daß die moderne Kunst nicht lediglich eine neue
Schablone an Stelle der alten gesetzt hat; hundert verschiedene Strömungen treffen sich in
ihrem Bett. Das zeigt sich bald überall, namentlich auch in der Behandlung des Lichtproblems.
Nach dem altmeisterlichen Braun und nach der bunten Schönfarbigkeit der koloristischen Zeit hatte
man gern einfachste Beleuchtungen aufgesucht und die ganze Natur in ein kreidiges Grau
getaucht. Nun bricht sich die Erkenntnis Bahn, daß die Natur ebensowenig grau wie braun ist;

373. Natur, von Fritz Erter.
 
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