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Haarnetz liegenden Schleier, den sie vor die Wange zieht, ganz umhüllt, sammelt sie den ernsten, tiefen
Blich in die endlose Ferne der Zukunft und gleicht in dieser nachsinnenden Stellung auf ihrer eigenen
Gruft dem personifieirten Grabgedanken selbst.

Die seltene Erscheinung eines Reliefs mit weggelassenem Hintergrund ist nicht beispiellos im Alter-
thum, wie sich auch unten erweisen wird, und rührt wahrscheinlich von der Beschaffenheit seines bestimmten
Standortes oder von einem ehemaligen Ueberbau des Denkmals her. Zur Vollendung des Bildwerks muss
auch hier die Farbe gedient haben. In dem grossartigen Styl, in der hohen Schönheit der Gesichtszüge,
der Körperform und des Faltenwurfs trägt es das Gepräge der Zeit des Phidias.

Taf. IL

No. 1. Marmornes Grabepithema eines gefallenen Reiters vom Schlachtfelde bei Leuctra in Böotien,
jetzt zu Eremokastro an der Stätte des alten Thespiä. Das beschädigte Denkmal, wie meine beigefügte
Ergänzung zeigt, bestand aus einer breiten, unten mit einem Sockel versehenen, oben in einem stumpfen
Winkel mit einer Kehlleiste eingefassten Reliefplatte, die aufrecht über dem Grabe gestellt war und deren
Höhe 3*4 Fuss, deren Breite 4 Fuss 1 Zoll beträgt.

Der im Relief derselben abgebildete Reiter, mit einem über den kurzen Aermel - Chiton auf der
Schulter gehefteten Kriegermantel, Chlamys, bekleidet, sitzt ohne Sattel oder Decke zu Ross und ist in
dem Moment aufgefasst, wo er, das Thier an den Zügeln verhaltend, und mit der Gerte antreibend, rasch
im Galopp fortsprengt, so dass sein Mantel weit zurückfliegt. Der fehlende Zaum war, wie aus vorhan-
denen Merkmalen erhellt, von Bronze angesetzt, und es scheint, dass der harmonischen Wirkung wegen
auch in mehreren Theilen dieses Bildwerks von edlem Styl Farben angebracht waren.

No. 2. Marmorne, von einfacher Randeinfassung umgebene Giebelstele aus demselben Orte und
derselben Zeit, wie das vorige Denkmal, herstammend, mit dem Reliefbilde eines verstorbenen Athleten
geziert, welcher zum Zeichen seiner Lebensbeschäftigung nackt, eine Strigilis oder Schaberz der Ringer
in der Rechten haltend, mit der Linken einen neben ihm sitzenden Windhund, seinen Jagdgefährten, an
sich lockt. Eine goldene Strigilis pflegte in öffentlichen Spielen auch als Kampfpreis, Athlon, Siegern
ertheilt zu werden [Xenophon L. I. Exped. Cyri].

Höchst lehrreich ist diese Grabstele durch den Umstand, dass sie in einer gemalten, wenig verän-
derten Nachbildung auf der Kehrseite der bekannten, vielbehandelten grossgriechischen Vase des Prinzen
Poniatowsky vorkommt, und ein Missverständniss hebt, welches die Nachbildung erzeugt hat, indem diese
manche gelehrte Forscher zu tiefsinnigen aber irrigen Deutungen verleitete. Dort steht auf der reicher
verzierten Grabstele genau dieselbe Reliefgruppe, nur mit dem Unterschiede, dass der Verstorbene eine
Binde ums Haar, einen Stab statt der Strigilis trägt, und dass am Hintergrunde des Reliefs eine Taenia
hängt 5 dort ist die Stele von Todtenopfern umgeben in einem Gemälde der Bestattungsfeyer angebracht,
welche das Gegenstück zu dem auf der Vorseite derselben Vase dargestellten mythischen Gemälde von
der Einführung der Aussaat, als zusammenhängenden Lehren der Göttin Demeter, bildet. Vorliegendes
Marmordenkmal beweist den Irrthum der Annahme jener Stele für einen offenen Tempeleingang, wogegen
schon die erwähnte Taenia zeugt, und widerlegt die vom Hrn. Geheimerath Fr. Creuzer [s. Abbildungen
zur Symb. u. Mythol. Tab. 14. Erklärung 76. Seite 47.] gegebene mystische Erklärung des Gemäldes als
der Rückkehr der Seele zum Hause der Götter, oder Heros Iasion mit dem Wanderstabe in der Thüre
des Göttertempels neben dem Hunde, dem Wächter desselben im Steinbock, umgeben von verehrenden
Priesterinnen mit Mysterienkästchen und von Neophyten. Gemeiniglich sind tempeiförmige Bauwerke auf
der Kehrseite der Vasengemälde mit darin vorgestellten Figuren nicht, wie bisher auch andere Archäologen

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