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3. BILDLICHE DARSTELLUNGEN IN MITTELALTER
UND RENAISSANCE
Überblickt man die Formulierungen der Daphnesage in der antiken
bildenden Kunst1), so sieht man schnell, daß ihr die Darstellung der Verfol-
gung fast noch weniger gelungen ist als die der Verwandlung, sofern man
-—- selbst in starker Bescheidung — den Maßstab des Transitorischen an beide
legt. Bei der am meisten „klassischen" Darstellung gleicht das Ganze einer
ruhigen Unterhaltung, andere geben nur wenig mehr an Bewegung. An Ver-
wandlung gibt das relativ meiste die bekannte hellenistische Borghese-Statue,
doch auch sie wirkt mehr wie ein von dekorativem Gezweig übersponnener
als wie ein verwandelter Körper; die anderen geben fast ausschließlich Kom-
binationen von Vegetabilem und Menschlichem.
Es entspricht unseren heutigen Vorstellungen von den „Möglichkeiten“
der mittelalterlichen bildenden Kunst anzunehmen, daß das eminent räum-
lich-körperliche Problem der Verwandlung ihr nur in einem Umfang lösbar
gewesen ist, der durch die spätantike Raum- und Körperanschauung prin-
zipiell abgesteckt war. Man wird also auch von hier aus nicht erwarten, daß
das Mittelalter Darstellungen der Verwandlung Daphnes hervorgebracht habe,
die im heutigen Sinne transitorisch wirken. Die früheste bekannte Darstellung,
die Miniatur in einer Ovide moralise-Handschrift der Arsenalbibliothek in
Paris, die stilistisch auf das zweite Viertel des 14. Jahrhunderts weist (Abb. 3)2),
bestätigt diese Erwartung: von Verwandlung kann hier nur im Sinne eines
Perfectum, nicht eines Präsens gesprochen werden. Daphne ist Baumstamm
plus Blätterkelch plus menschlichem Kopf und entspricht damit prinzipiell
dem Typus, der in der orientalisch-hellenistischen Spätantike, namentlich
auf koptischen Darstellungen um 300—400 öfter vorkommt und vermutlich
direkt in Ägyptischem wurzelt.3) Dagegen ist als neu festzustellen, daß das
Moment der Verfolgung hier mit bemerkenswerter Energie zur Anschauung
1) Valentin Müller, Die Typen der Daphne-Darstellungen, Mitt. d. d. archäolog.
Inst., Röm. Abt. XLIV, 1929, 59ff. — Die Abhandlung leidet daran, daß das Problem
der literarischen Überlieferung, also des Unterschiedes zwischen der spezifisch griechischen
„Ersatz“- und der ,,Verwandlungs“-Version (s. unseren Exkurs I) überhaupt nicht be-
achtet wird. Von älterer Literatur ist die weitschauende und von außerordentlicher Be-
lesenheit zeugende Abhandlung von Raoul-Rochette (in: Choix de peintures de Pompei,
Paris 1844) nachzutragen.
2) Bibi, de l’Ars. Ms. 5069 fol. 4r. — De Boer (s. Text I) I, S. 45 Nr. G2, aus dem
Besitz von Charles de Croy, prince de Chimay, gest. 1527, vgl. über seine Bibliothek
Alphonse Bayot, Martin le Franc. L’estrif de Fortune et de Vertu, 1928, p. 2isqq. 55.
Die Hs. auch erwähnt von E. Male, L’art religieux du 13. s., Paris 1923, S. 342. Eine ge-
plante Arbeit von Durrieu über Oviddarstellungen des 14. Jahrhunderts (s. Comptes ren-
dus des seances de l’Ac. des Inscr. 1916, 191) ist nicht mehr erschienen.
3) Valentin Müller a. a. O. S. 63!. u. 71 ff.
 
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