y. DARSTELLUNGEN IN DER SKULPTUR
Um der Verwandlungsfabel Ovids eine Vergegenwärtigung in der Skulp-
tur zu verleihen, bedurfte es der revolutionären Gesinnung des jungen Bernini.
Selbst der Hellenismus hatte sich nur an der Einzelstatue der Daphne
versucht; es ist uns nicht überliefert, daß ein griechischer oder römischer Bild-
hauer die Szene im Anschluß an die bei den Malern üblichen Form als Gruppe
behandelt habe. In der bekannten antiken Borghese-Statue fehlt aber außerdem
auch das Motiv der Flucht völlig: die Beine stehen eng und ruhig beieinander,
die Arme sind kaum erhoben. Ja, selbst die Verwandlung ist in ihr doch keines-
wegs realistisch gegeben, sondern nur metaphorisch angedeutet: Der Rumpf
oder die Beine werden garnicht zum Stamm, sondern Zweige und Blätter
überziehen leise gerade die unteren Partien.
In der Renaissance werden wir anscheinend nur durch den oben be-
sprochenen Stich des Agostino Veneziano (Abb. 23) auf skulpturale Absichten
geführt; ob diese verwirklicht worden sind, ist ganz unsicher. Immerhin wurde
dort die Neigung sichtbar, zugunsten plastischer Gruppierung ein Gegenein-
ander, d. h. ein Zueinander der beiden Hauptfiguren dem Thema gleichsam
abzuringen.
Um so verblüffender erscheint nun Berninis Lösung (Abb. 60)1), die
durchaus an der einseitig-gerichteten Verfolgung festhält und zur Überwindung
der darin liegenden Schwierigkeiten sich im Grunde lediglich desjenigen
Mittels bedient, das vorher die Malerei (vgl. z. B. die relativ nahe verwandte
Darstellung auf dem Giorgione zugeschriebenen Cassone, Abb. 26) zu gleichem
Zweck ausgebildet hatte: der Rückwendung der Daphne — nun freilich in
einer genialen Weise, die gleichsam eine Übertragung dieses ursprünglich auf
den Kopf beschränkten Motivs auf den ganzen Körper darstellt. Die ab-
schließende Rundung der Komposition übernimmt jetzt der wundervolle,
durchgehend konvexe Kontur des Mädchenleibes; um diese Wirkung zu stei-
gern, ist die werdende Baumrinde ganz der Kurve des anderen Beines, des
ganzen Oberkörpers angeglichen und umfaßt, breit von unten her auffangend,
die Gestalt bis zum Ansatz der Rückwendung am Rumpf; und Kopf und rechter
Arm sind dieser großartigen Abrundung dienstbar. Es wird so in der richtung-
gebundenen Gruppe eine zyklische Geschlossenheit erreicht, die der Erfinder
des Agostino-Stichs (Abb. 23) nicht einmal durch das Gegeneinander seiner
Figuren in dem Maße hatte gewinnen können.
Über die Quellen dieser Erfindung ist mancherlei, aber wenig Bedeut-
sames bemerkt worden, und es war wohl auch stets die Meinung, daß genial-
1) Die genaue Datierung immer noch strittig; Restzahlung am 22. November 1625:
St. Fraschetti, II Bernini, Milano 1900, S. 26, Anm. 1.
Um der Verwandlungsfabel Ovids eine Vergegenwärtigung in der Skulp-
tur zu verleihen, bedurfte es der revolutionären Gesinnung des jungen Bernini.
Selbst der Hellenismus hatte sich nur an der Einzelstatue der Daphne
versucht; es ist uns nicht überliefert, daß ein griechischer oder römischer Bild-
hauer die Szene im Anschluß an die bei den Malern üblichen Form als Gruppe
behandelt habe. In der bekannten antiken Borghese-Statue fehlt aber außerdem
auch das Motiv der Flucht völlig: die Beine stehen eng und ruhig beieinander,
die Arme sind kaum erhoben. Ja, selbst die Verwandlung ist in ihr doch keines-
wegs realistisch gegeben, sondern nur metaphorisch angedeutet: Der Rumpf
oder die Beine werden garnicht zum Stamm, sondern Zweige und Blätter
überziehen leise gerade die unteren Partien.
In der Renaissance werden wir anscheinend nur durch den oben be-
sprochenen Stich des Agostino Veneziano (Abb. 23) auf skulpturale Absichten
geführt; ob diese verwirklicht worden sind, ist ganz unsicher. Immerhin wurde
dort die Neigung sichtbar, zugunsten plastischer Gruppierung ein Gegenein-
ander, d. h. ein Zueinander der beiden Hauptfiguren dem Thema gleichsam
abzuringen.
Um so verblüffender erscheint nun Berninis Lösung (Abb. 60)1), die
durchaus an der einseitig-gerichteten Verfolgung festhält und zur Überwindung
der darin liegenden Schwierigkeiten sich im Grunde lediglich desjenigen
Mittels bedient, das vorher die Malerei (vgl. z. B. die relativ nahe verwandte
Darstellung auf dem Giorgione zugeschriebenen Cassone, Abb. 26) zu gleichem
Zweck ausgebildet hatte: der Rückwendung der Daphne — nun freilich in
einer genialen Weise, die gleichsam eine Übertragung dieses ursprünglich auf
den Kopf beschränkten Motivs auf den ganzen Körper darstellt. Die ab-
schließende Rundung der Komposition übernimmt jetzt der wundervolle,
durchgehend konvexe Kontur des Mädchenleibes; um diese Wirkung zu stei-
gern, ist die werdende Baumrinde ganz der Kurve des anderen Beines, des
ganzen Oberkörpers angeglichen und umfaßt, breit von unten her auffangend,
die Gestalt bis zum Ansatz der Rückwendung am Rumpf; und Kopf und rechter
Arm sind dieser großartigen Abrundung dienstbar. Es wird so in der richtung-
gebundenen Gruppe eine zyklische Geschlossenheit erreicht, die der Erfinder
des Agostino-Stichs (Abb. 23) nicht einmal durch das Gegeneinander seiner
Figuren in dem Maße hatte gewinnen können.
Über die Quellen dieser Erfindung ist mancherlei, aber wenig Bedeut-
sames bemerkt worden, und es war wohl auch stets die Meinung, daß genial-
1) Die genaue Datierung immer noch strittig; Restzahlung am 22. November 1625:
St. Fraschetti, II Bernini, Milano 1900, S. 26, Anm. 1.