5. POUSSIN-MARATTA-BELLORI: KLASSIZISTISCHE
KOMPOSITION
Wir haben eine bestimmte Lösung des Darstellungsproblems: die prä-
ziseste, „momentanste" für sich verfolgt und sind damit zeitlich weit voran-
geeilt. Es gilt jetzt festzustellen, welche anderen Lösungen die Malerei des
17. Jahrhunderts gefunden hat und wie innerhalb dieser anderen Stränge
die Entwicklung verlaufen ist. Dabei soll zunächst der aus dem 15. und
16. Jahrhundert übernommene Typus, der sich auf die beiden Hauptfiguren
beschränkt, ausgeschaltet werden; er, der von vornherein durch seine Rich-
tungsgebundenheit der Autonomie der „Komposition" zu widerstreben schien,
lebte ja ganz vorzugsweise in der Illustration weiter und wurde nur einmal
von einer Seite her aufgegriffen, von der man es am wenigsten hätte erwarten
sollen: von der Skulptur; von beiden Richtungen soll weiter unten die Rede sein.
Hier handelt es sich um einen Typus der Darstellung, der auch in der
Dreizahl der Personen, wie sie sich seit Pierino in immer logischer durch-
dachter Form eingebürgert hatte, sein Genüge nicht findet, der vielmehr ein
ganz neues Problem aufwirft: das Problem der bildhaften Zusammenfassung
mehrerer Episoden der ovidischen Erzählung.
Es wird von vornherein erwartet werden, daß sich die Entwicklung
dieses Typus innerhalb betont klassizistischer Schulen abgespielt hat; denn
jeder Klassizismus ist prädestiniert zur Feindschaft gegen transitorische Zu-
spitzungen und neigt zu Kombinationen sukzessiver Elemente. Und in der
Tat sind nicht nur die bedeutendsten künstlerischen Formulierungen dieses
Typus von zwei Führern des Klassizismus im 17. Jahrhundert, Poussin
und Maratta, gefunden worden, sondern es ist auch seine theoretische Be-
gründung vom Führer der klassizistischen Kunsttheorie der Zeit, dem „Vor-
läufer Winckelmanns" G. B. Bellori, geleistet worden.
In einem Jugendwerk der frühen dreißiger Jahre hat Poussin zuerst
dies Problem gesucht und dabei mehr demonstriert als gelöst (Abb. 42).1)
Daphne, flüchtig-klagend, ist mitten in der Verwandlung begriffen, Apollo
umfaßt sie gerade — soweit entspricht alles dem transitorischen Typus. Aber
Apollo ist ja garnicht ihr Verfolger, sondern sie eilt gleichsam in seine Arme,
wie sie in anderen Darstellungen in die des Vaters eilt, und er empfängt sie
sitzend, die Leier und den Köcher hinter sich; Peneios lagert vergrämt auf
Daphnes anderer Seite, wobei er ihr den Rücken kehrt, also ganz unbeteiligt
an dem Vorgang scheint, stärker als das selbst bei Pierino fühlbar gewesen war.
1) München Nr. 2334, früher in Schleißheim, gestochen von Chauveau 1667; Smith
187; W. Friedländer, N. Poussin, München 1914, S. 113, Abb. 164. Ganz ähnlich (ohne
den linken Teil) nach der Beschreibung Smiths (Nr. 188) ein ehemals beim Earl of North-
wick befindliches Bild.
KOMPOSITION
Wir haben eine bestimmte Lösung des Darstellungsproblems: die prä-
ziseste, „momentanste" für sich verfolgt und sind damit zeitlich weit voran-
geeilt. Es gilt jetzt festzustellen, welche anderen Lösungen die Malerei des
17. Jahrhunderts gefunden hat und wie innerhalb dieser anderen Stränge
die Entwicklung verlaufen ist. Dabei soll zunächst der aus dem 15. und
16. Jahrhundert übernommene Typus, der sich auf die beiden Hauptfiguren
beschränkt, ausgeschaltet werden; er, der von vornherein durch seine Rich-
tungsgebundenheit der Autonomie der „Komposition" zu widerstreben schien,
lebte ja ganz vorzugsweise in der Illustration weiter und wurde nur einmal
von einer Seite her aufgegriffen, von der man es am wenigsten hätte erwarten
sollen: von der Skulptur; von beiden Richtungen soll weiter unten die Rede sein.
Hier handelt es sich um einen Typus der Darstellung, der auch in der
Dreizahl der Personen, wie sie sich seit Pierino in immer logischer durch-
dachter Form eingebürgert hatte, sein Genüge nicht findet, der vielmehr ein
ganz neues Problem aufwirft: das Problem der bildhaften Zusammenfassung
mehrerer Episoden der ovidischen Erzählung.
Es wird von vornherein erwartet werden, daß sich die Entwicklung
dieses Typus innerhalb betont klassizistischer Schulen abgespielt hat; denn
jeder Klassizismus ist prädestiniert zur Feindschaft gegen transitorische Zu-
spitzungen und neigt zu Kombinationen sukzessiver Elemente. Und in der
Tat sind nicht nur die bedeutendsten künstlerischen Formulierungen dieses
Typus von zwei Führern des Klassizismus im 17. Jahrhundert, Poussin
und Maratta, gefunden worden, sondern es ist auch seine theoretische Be-
gründung vom Führer der klassizistischen Kunsttheorie der Zeit, dem „Vor-
läufer Winckelmanns" G. B. Bellori, geleistet worden.
In einem Jugendwerk der frühen dreißiger Jahre hat Poussin zuerst
dies Problem gesucht und dabei mehr demonstriert als gelöst (Abb. 42).1)
Daphne, flüchtig-klagend, ist mitten in der Verwandlung begriffen, Apollo
umfaßt sie gerade — soweit entspricht alles dem transitorischen Typus. Aber
Apollo ist ja garnicht ihr Verfolger, sondern sie eilt gleichsam in seine Arme,
wie sie in anderen Darstellungen in die des Vaters eilt, und er empfängt sie
sitzend, die Leier und den Köcher hinter sich; Peneios lagert vergrämt auf
Daphnes anderer Seite, wobei er ihr den Rücken kehrt, also ganz unbeteiligt
an dem Vorgang scheint, stärker als das selbst bei Pierino fühlbar gewesen war.
1) München Nr. 2334, früher in Schleißheim, gestochen von Chauveau 1667; Smith
187; W. Friedländer, N. Poussin, München 1914, S. 113, Abb. 164. Ganz ähnlich (ohne
den linken Teil) nach der Beschreibung Smiths (Nr. 188) ein ehemals beim Earl of North-
wick befindliches Bild.