Poussin, Jugendwerke
Aber es gibt hier noch eine andere Hauptperson, eine bisher nur selten, von
nun an häufig wichtige: Amor. Ist der Lorbeer auf Apollos Haupt eine Pro-
lepsis denn er bricht sich ja den Zweig erst nach Daphnes völliger Verwand-
lung so ist Amors Einfügung hier das gerade Gegenteil: er entflieht nicht
etwa (wie es später dann oft geschieht) als triumphierender Sieger, sondern
er zielt erst auf Apollo, vollzieht also eine Handlung, die lange vor der Ver-
folgung vor sich gegangen, ja deren Ursache gewesen war. In diesem Bilde
sind also, wenn man einmal pedantisch vom Transitorischen her betrachten
will, vier verschiedene, zeitlich getrennte Teile der Erzählung kombiniert zur
Darstellung gekommen:
1. Die Ursache der ganzen Fabel, d. h. der Schuß Amors auf Apollo
mit dem goldenen Pfeil,
2. die Flucht Daphnes und ihre Verwandlung,
3. Die Klage Apollos, der Daphne — nach der Verwandlung — umfaßt
und den Lorbeer schon aufs Haupt gesetzt hat,
4. Die Klage des Peneios um die Tochter.
Dazu kommt noch das frei von Textbindungen eingestreute Puttenspiel.
Ganz offensichtlich ist also hier im Prinzip das Transitorische garnicht
gesucht (und das vereinzelte Erscheinen des spezifisch-transitorischen Ele-
ments in der sich verwandelnden Daphne wirkt darum ein wenig peinlich);
gesucht ist vielmehr die gruppenhafte Vereinigung von Figuren, die jede für
sich im Grunde eine andere Phase der gesamten Erzählung repräsentieren.
Andererseits handelt es sich aber auch nicht um eine Anschauung, die — etwa
im Sinne des Illustrators — um des Erzählens, der epischen Deutlich-
keit willen zu einer Kombination sukzessiver Momente griffe; denn statt
illustrativer Lockerung zeigt das Bild gruppenhafte Geschlossenheit und das
bedeutet: die Figuren haben keinen ausgesprochen aktiven, sondern einen die
Handlung nur andeutenden Charakter, und das Bild führt dem Kundigen,
dem Kenner Ovids (nicht dem, der die Geschichte nicht kennt) durch eine an
Lyrisches gemahnende Vereinigung sukzessiver Momente zu simultanem
,,Klang“ den ,,Stimmungs“-Gehalt der Fabel vor Augen.
Diesen Charakter wahrt auch Poussins Zeichnung der Galerie Corsini
in Rom (Abb. 43)x), in der das Transitorische konsequenter unterdrückt und
alles auf ruhige Komposition eingestellt ist. Während Peneios fast die gleiche
abseitige Lagerung behalten hat, ist vor akzentuiertem Baumgerüst aus
Apollo, Daphne, Amor, einem Putto und zwei ruhenden Nymphen eine be-
tont-statische Gruppe gebildet.Bei Daphne spürt man in den erhobenen Armen
und in der Beinstellung noch den Nachklang der Fluchtbewegung; aber Apollo
steht bereits in ruhiger Haltung da und legt seine Linke auf die Schulter der
ganz Unverwandelten; sein rechter Arm faßte ursprünglich in noch ge-
nauerer Nachfolge des der ganzen Figur zugrunde liegenden antiken Statuen-
Motivs1 2) herüber zu Daphne, wurde dann aber hinübergenommen zur Unter-
stützung der Bewegung des Putto, der ihm den Kranz aufs Haupt setzen will.
Eine wichtige Änderung gegenüber der Fassung des Münchener Bildes doku-
mentiert sich an der Figur Amors: Er zielt nun nicht mehr auf Apollo, sondern
1) Inv. 125570 (als „Le tre grazie“! Richtige Deutung von W. Friedländer); Feder
und Bister 171x180 mm. Auf der Rückseite Konzept zu einem Gedicht (?).
2) Vgl. die Apollonstatue Reinach, Rep. I, 251, 7; auch Michelangelo hatte diesen
Typus gekannt (Jüngling rechts auf der Madonna Doni).
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Aber es gibt hier noch eine andere Hauptperson, eine bisher nur selten, von
nun an häufig wichtige: Amor. Ist der Lorbeer auf Apollos Haupt eine Pro-
lepsis denn er bricht sich ja den Zweig erst nach Daphnes völliger Verwand-
lung so ist Amors Einfügung hier das gerade Gegenteil: er entflieht nicht
etwa (wie es später dann oft geschieht) als triumphierender Sieger, sondern
er zielt erst auf Apollo, vollzieht also eine Handlung, die lange vor der Ver-
folgung vor sich gegangen, ja deren Ursache gewesen war. In diesem Bilde
sind also, wenn man einmal pedantisch vom Transitorischen her betrachten
will, vier verschiedene, zeitlich getrennte Teile der Erzählung kombiniert zur
Darstellung gekommen:
1. Die Ursache der ganzen Fabel, d. h. der Schuß Amors auf Apollo
mit dem goldenen Pfeil,
2. die Flucht Daphnes und ihre Verwandlung,
3. Die Klage Apollos, der Daphne — nach der Verwandlung — umfaßt
und den Lorbeer schon aufs Haupt gesetzt hat,
4. Die Klage des Peneios um die Tochter.
Dazu kommt noch das frei von Textbindungen eingestreute Puttenspiel.
Ganz offensichtlich ist also hier im Prinzip das Transitorische garnicht
gesucht (und das vereinzelte Erscheinen des spezifisch-transitorischen Ele-
ments in der sich verwandelnden Daphne wirkt darum ein wenig peinlich);
gesucht ist vielmehr die gruppenhafte Vereinigung von Figuren, die jede für
sich im Grunde eine andere Phase der gesamten Erzählung repräsentieren.
Andererseits handelt es sich aber auch nicht um eine Anschauung, die — etwa
im Sinne des Illustrators — um des Erzählens, der epischen Deutlich-
keit willen zu einer Kombination sukzessiver Momente griffe; denn statt
illustrativer Lockerung zeigt das Bild gruppenhafte Geschlossenheit und das
bedeutet: die Figuren haben keinen ausgesprochen aktiven, sondern einen die
Handlung nur andeutenden Charakter, und das Bild führt dem Kundigen,
dem Kenner Ovids (nicht dem, der die Geschichte nicht kennt) durch eine an
Lyrisches gemahnende Vereinigung sukzessiver Momente zu simultanem
,,Klang“ den ,,Stimmungs“-Gehalt der Fabel vor Augen.
Diesen Charakter wahrt auch Poussins Zeichnung der Galerie Corsini
in Rom (Abb. 43)x), in der das Transitorische konsequenter unterdrückt und
alles auf ruhige Komposition eingestellt ist. Während Peneios fast die gleiche
abseitige Lagerung behalten hat, ist vor akzentuiertem Baumgerüst aus
Apollo, Daphne, Amor, einem Putto und zwei ruhenden Nymphen eine be-
tont-statische Gruppe gebildet.Bei Daphne spürt man in den erhobenen Armen
und in der Beinstellung noch den Nachklang der Fluchtbewegung; aber Apollo
steht bereits in ruhiger Haltung da und legt seine Linke auf die Schulter der
ganz Unverwandelten; sein rechter Arm faßte ursprünglich in noch ge-
nauerer Nachfolge des der ganzen Figur zugrunde liegenden antiken Statuen-
Motivs1 2) herüber zu Daphne, wurde dann aber hinübergenommen zur Unter-
stützung der Bewegung des Putto, der ihm den Kranz aufs Haupt setzen will.
Eine wichtige Änderung gegenüber der Fassung des Münchener Bildes doku-
mentiert sich an der Figur Amors: Er zielt nun nicht mehr auf Apollo, sondern
1) Inv. 125570 (als „Le tre grazie“! Richtige Deutung von W. Friedländer); Feder
und Bister 171x180 mm. Auf der Rückseite Konzept zu einem Gedicht (?).
2) Vgl. die Apollonstatue Reinach, Rep. I, 251, 7; auch Michelangelo hatte diesen
Typus gekannt (Jüngling rechts auf der Madonna Doni).
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