Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
EXKURSE
I. ZUR OVIDISCHEN FASSUNG DER FABEL
H. Magnus hat anläßlich seines Versuchs, das Problem der „doppelten
Fassung“ der Metamorphosen zu lösen1), in sehr instruktiver Weise Ovids
Fassung der Sage mit den älteren Versionen konfrontiert, und wir verdanken
ihm die klare Feststellung, daß Ovid die erst bei ihm auftauchende Bezeich-
nung des thessalischen Peneios statt des arkadischen Ladon als Vater
Daphnes aus künstlerischen Gründen vorgenommen hat. Die vorher erzählte
Pythonsage — durch Einführung des Motivs der Entstehung Pythons aus dem
Sintflut-Schlamm „metamorphosenreif“ geworden — hatte den Dichter
nach Delphi geführt, und so ist in der durch den Streit zwischen Apollo und
Amor unmittelbar mit dem vorigen verbundenen Daphnefabel die Einsetzung
des bekannten thessalischen Flußgottes für den arkadischen das Gegebene,
zumal alte Tradition das Tempetal mit dem delphischen Heiligtum verband.
Zwar spielt die folgende lo-Sage wieder in der Argolis, aber Ovid findet
auch hier eine glückliche Verknüpfung: Zur Tröstung des Peneios eilen auch
die anderen Flußgötter herbei — nur einer fehlt, selbst in Trauer befangen:
Inachos, los Vater.2)
Es ist nun aber merkwürdig, daß sich Magnus eine andere wichtige
Einsicht in Ovids künstlerische Überlegungen durch eine nicht ganz präzise
Charakteristik der älteren Versionen der Sage verbaut hat. Nachdem er näm-
lich die bis tief ins Mittelalter hineinreichenden Zeugen der alten arkadischen
Version aufgezählt hat, faßt er (S. 201) die in allen Beispielen identischen
Hauptpunkte dieser Fassung wie folgt zusammen: „Daphne, die Tochter des
arkadischen Flußgottes Ladon und der Ge, wird von Apollo geliebt und, da
sie ihn nicht erhört, verfolgt. In der höchsten Gefahr ruft sie ihre Mutter Ge
an; diese erbarmt sich der Tochter und verwandelt sie in den Lorbeerbaum“.
Hierin liegt aber ein Fehler. Eine Prüfung der genannten Stellen — es scheint
keine irgendwie wichtige zu fehlen — ergibt nämlich, daß in ihnen zwar in der
Tat allgemein die Ge als Retterin der Daphne bezeichnet wird; nicht aber
ist dort von einer Verwandlung der Daphne durch sie die Rede. Tatsäch-
lich kommt der Ge eine Verwandlung der Daphne ja auch gar nicht zu, wohl
aber ist es ihr naturgemäß gegeben, Daphne zu verschlingen, zu sich

1) Hermes XL, 1905, igiff. Dazu Gruppe, (Bursians) Jahresbericht 137, 1908, 449H.
2) Dazu F. J. Miller, Classical Journal XVI, 1920—21, 464!!.— Allerdings sind die
übrigen von Ovid auf gezählten Flußgötter nähere oder entferntere Nachbarn des
Peneios: Sperchios, Enipeus, Apidanus, Amphrysos, Aeas. Seltsamerweise gibt es einen
Nebenfluß des Sperchios mit dem Namen Inachos; kann man hier an einen „Kunst-
griff“ Ovids glauben? <
 
Annotationen