l8 Bildliche Darstellungen in Mittelalter und Renaissance
des 15. Jahrunderts von diesen Miniaturen überaus groß und sehr bezeich-
nend für den Primat Italiens in der Lösung des Problems, im Dienste psy-
chologischer Interpretation der Handlung mehrere Figuren im Raum grup-
pierend zu ordnen.
Der Daphnetypus aus „Baum + Kopf“, den wir im Norden kennenge-
lernt und in der Antike vorgebildet gefunden hatten, ist auch im italienischen
Quattrocento bekannt, wo er gelegentlich in derselben statischen Bildung vor-
kommt. Das bezeugt ein um 1450 gemaltes Cassonebild — gerade auf den
Cassoni macht sich ja bekanntlich die antike Sagenwelt nun in erster Linie
breit — beim Earl of Harewood (Abb. 13)x), wo Apollo — im Zeitkostüm
wie in Burgund — den längst verwandelten Stamm zärtlich umfaßt hält, aus
dem der Kopf zwischen Geäst hervorlugt; fast identisch (im Gegensinn)
findet sich die Szene zwischen den Ranken des linken Flügels von Filaretes
Bronzetür der Peterskirche (1439—45).1 2) Ja, gelegentlich geht auch ein Ita-
liener dem Verwandlungsmotiv ganz aus dem Wege wie der Maler der Brüsse-
ler Miniatur: auf einem Cassonebild (Abb. 14)3) ist — echt illustrativ — in
vier Szenen nebeneinander dargestellt, wie zwei Frauen Daphne zur Heirat
zureden, Apollo sie verfolgt, sie als Baum (ohne Spur menschlicher Züge)
umarmt und endlich, [mit dem Lorbeerzweig sich krönend, nachdenklich
weitergeht — alle Personen in kostbarer Zeittracht, die deutlich den Einfluß
des Nordens verrät. Und es ist nun höchst bezeichnend für die Stellung der
Antike im Quattrocento, wie die gleiche ikonographische Tradition in der
köstlichen Tafel des Buonsignori (Settignano, Sammlung Berenson, Abb. 15)
abgewandelt wird. Es handelt sich um dieselbe Szenenfolge (nur unvollständig
wiedergegeben oder erhalten: zur alleinstehenden Daphne links sind die
Schwesternymphen hinzuzudenken, die vierte Szene rechts fehlt ganz), die
Anknüpfung an den ikonographischen Typus des oben besprochenen Cassone-
bildes ist völlig deutlich, aber das Ganze ist nun ins „Antikische“ transpo-
niert, und zwar in den Einzelmotiven wie in der Gesamtbewegung: aus
der langgewandeten Daphne links wird die „Ninfa“ mit der Gebärde einer
1) Schubring, Cassoni Nr. 154, Taf. XXXI; R, v. Marie, The Development of the
Italian Schools of Painting X, Haag 1928, 552.
2) Schubring, Cassoni, S. 438 u. Sauer, Rep. f. Kw. 1897, S. 3 (linker Türflügel
links Nr. 14); gut sichtbar auf Photo Alinari 5910. Derselbe Filarete empfiehlt eine Dar-
stellung der Daphnesage für die Ausstattung des fürstlichen Palastes: La Sforzindaed.
v. Oettingen (Quellenschr. z. Kgsch. N. F. III) Wien 1890, S. 303, s. auch S. 652. Ähnlich
denkt sich Polizian die Szene als Relief am Tor des
Venusreichs: Giostra I, 109, zitiert von Warburg
a. a. O. S. 30.
3) Schubring, Cassoni, Nr. 917, Suppl. Taf. X.
Daphne als ganze menschliche Figur + Baum (also
im Sinne von Abb. 9) kommt vor in einem Petrarca-
kodex (vgl. Abb. 1) aus Strozzibesitz in der Ver-
steigerung De Marinis, Mailand Mai 1925 I Nr. 287
Tav. LXVI. Den nordischen Typus aus menschlichem
Rumpf und Baumwipfel habe ich in Italien nur
einmal und an untergeordneter Stelle gefunden:
in Botticellis Verleumdung des Apelles als Wand-
relief, direkt links von der Veritas (Textabb. 2); frei-
lich ist auch hier der menschliche Kopf unter dem
Geäst noch feststellbar. H. Horne, Botticelli, London
1908, S. 25öff.
des 15. Jahrunderts von diesen Miniaturen überaus groß und sehr bezeich-
nend für den Primat Italiens in der Lösung des Problems, im Dienste psy-
chologischer Interpretation der Handlung mehrere Figuren im Raum grup-
pierend zu ordnen.
Der Daphnetypus aus „Baum + Kopf“, den wir im Norden kennenge-
lernt und in der Antike vorgebildet gefunden hatten, ist auch im italienischen
Quattrocento bekannt, wo er gelegentlich in derselben statischen Bildung vor-
kommt. Das bezeugt ein um 1450 gemaltes Cassonebild — gerade auf den
Cassoni macht sich ja bekanntlich die antike Sagenwelt nun in erster Linie
breit — beim Earl of Harewood (Abb. 13)x), wo Apollo — im Zeitkostüm
wie in Burgund — den längst verwandelten Stamm zärtlich umfaßt hält, aus
dem der Kopf zwischen Geäst hervorlugt; fast identisch (im Gegensinn)
findet sich die Szene zwischen den Ranken des linken Flügels von Filaretes
Bronzetür der Peterskirche (1439—45).1 2) Ja, gelegentlich geht auch ein Ita-
liener dem Verwandlungsmotiv ganz aus dem Wege wie der Maler der Brüsse-
ler Miniatur: auf einem Cassonebild (Abb. 14)3) ist — echt illustrativ — in
vier Szenen nebeneinander dargestellt, wie zwei Frauen Daphne zur Heirat
zureden, Apollo sie verfolgt, sie als Baum (ohne Spur menschlicher Züge)
umarmt und endlich, [mit dem Lorbeerzweig sich krönend, nachdenklich
weitergeht — alle Personen in kostbarer Zeittracht, die deutlich den Einfluß
des Nordens verrät. Und es ist nun höchst bezeichnend für die Stellung der
Antike im Quattrocento, wie die gleiche ikonographische Tradition in der
köstlichen Tafel des Buonsignori (Settignano, Sammlung Berenson, Abb. 15)
abgewandelt wird. Es handelt sich um dieselbe Szenenfolge (nur unvollständig
wiedergegeben oder erhalten: zur alleinstehenden Daphne links sind die
Schwesternymphen hinzuzudenken, die vierte Szene rechts fehlt ganz), die
Anknüpfung an den ikonographischen Typus des oben besprochenen Cassone-
bildes ist völlig deutlich, aber das Ganze ist nun ins „Antikische“ transpo-
niert, und zwar in den Einzelmotiven wie in der Gesamtbewegung: aus
der langgewandeten Daphne links wird die „Ninfa“ mit der Gebärde einer
1) Schubring, Cassoni Nr. 154, Taf. XXXI; R, v. Marie, The Development of the
Italian Schools of Painting X, Haag 1928, 552.
2) Schubring, Cassoni, S. 438 u. Sauer, Rep. f. Kw. 1897, S. 3 (linker Türflügel
links Nr. 14); gut sichtbar auf Photo Alinari 5910. Derselbe Filarete empfiehlt eine Dar-
stellung der Daphnesage für die Ausstattung des fürstlichen Palastes: La Sforzindaed.
v. Oettingen (Quellenschr. z. Kgsch. N. F. III) Wien 1890, S. 303, s. auch S. 652. Ähnlich
denkt sich Polizian die Szene als Relief am Tor des
Venusreichs: Giostra I, 109, zitiert von Warburg
a. a. O. S. 30.
3) Schubring, Cassoni, Nr. 917, Suppl. Taf. X.
Daphne als ganze menschliche Figur + Baum (also
im Sinne von Abb. 9) kommt vor in einem Petrarca-
kodex (vgl. Abb. 1) aus Strozzibesitz in der Ver-
steigerung De Marinis, Mailand Mai 1925 I Nr. 287
Tav. LXVI. Den nordischen Typus aus menschlichem
Rumpf und Baumwipfel habe ich in Italien nur
einmal und an untergeordneter Stelle gefunden:
in Botticellis Verleumdung des Apelles als Wand-
relief, direkt links von der Veritas (Textabb. 2); frei-
lich ist auch hier der menschliche Kopf unter dem
Geäst noch feststellbar. H. Horne, Botticelli, London
1908, S. 25öff.