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erschiesst. Gerade am Weihnachtsabend erfährt Lotte von
Werthers Selbstmord. In Millers Siegwart entsteht am Be-
gräbnistage des Vaters, an dem alle Kinder in einmütiger
Trauer um den geliebten Verstorbenen zusammengekommen sind,
ein schmerzlicher Familienzwist.
Charakter -Anlage und Zusammenführung der
Charaktere. Wenn man die grosse Anzahl der Ifflandischen
Figuren auf ihre Charakter-Eigentümlichkeiten hin prüft, so er-
giebt sich zunächst die Thatsache, dass sie nicht aus Gut und
Böse gemischt sind. Es war nur selten Ifflands Bestreben, den
rührenden Konflikt innerhalb eines Gemütes entstehen zu lassen,
indem er verschiedene Neigungen, verschiedenes Begehren und
Empfinden in einer Person in Gährung geraten liesse, sondern
er bringt den rührenden Konflikt vielmehr dadurch hervor, dass
er durchaus gute und durchaus böse Charaktere zusammen-
kommen lässt, sodass die Rührung aus dem Aufeinanderplatzen
entgegenstrebender Charakter-Eigentümlichkeiten entsteht. Der
aus der Charakter-Anlage resultirende rührende Konflikt liegt
also selten in seinen Gestalten, sondern gewissermassen
zwischen denselben. Demnach musste er bedacht sein, in
jedem seiner Dramen eine Anzahl Charaktere zusammen zu
bringen, die so beschaffen sind, dass ihre Zusammenführung
notwendigerweise einen Konflikt, einen rührenden Konflikt her-
beiführt. Das hat er denn auch sehr konsequent und geschickt
gethan. In dem Sittengemälde „Die Jäger" ist die Charakter-
zeichnung vielleicht am klarsten; Ifflands Charaktere finden
sich dort gewissermassen in Reinkultur vor. Die Figuren stehen
sich in zwei Gruppen gegenüber.
Die Menschen der einen Gruppe sind gutherzige, weich-
mütige, redliche, etwas eckige, poltrige und engherzige Leute,
voller warmer Empfindung, inniger Liebe, Dankbarkeit, Treue,
Aufopferungsfähigkeit und milden Sinnes. Die Menschen der
anderen Gruppe sind zwar gebildet, aber von schlechter
Moral, intriguant, unredlich, geziert, hochnäsig, berechnend; sie
zeigen Oberflächlichkeit, Bosheit, Neid, Untreue, Stolz, Faulheit,
Lügenhaftigkeit und Gewaltthätigkeit.
erschiesst. Gerade am Weihnachtsabend erfährt Lotte von
Werthers Selbstmord. In Millers Siegwart entsteht am Be-
gräbnistage des Vaters, an dem alle Kinder in einmütiger
Trauer um den geliebten Verstorbenen zusammengekommen sind,
ein schmerzlicher Familienzwist.
Charakter -Anlage und Zusammenführung der
Charaktere. Wenn man die grosse Anzahl der Ifflandischen
Figuren auf ihre Charakter-Eigentümlichkeiten hin prüft, so er-
giebt sich zunächst die Thatsache, dass sie nicht aus Gut und
Böse gemischt sind. Es war nur selten Ifflands Bestreben, den
rührenden Konflikt innerhalb eines Gemütes entstehen zu lassen,
indem er verschiedene Neigungen, verschiedenes Begehren und
Empfinden in einer Person in Gährung geraten liesse, sondern
er bringt den rührenden Konflikt vielmehr dadurch hervor, dass
er durchaus gute und durchaus böse Charaktere zusammen-
kommen lässt, sodass die Rührung aus dem Aufeinanderplatzen
entgegenstrebender Charakter-Eigentümlichkeiten entsteht. Der
aus der Charakter-Anlage resultirende rührende Konflikt liegt
also selten in seinen Gestalten, sondern gewissermassen
zwischen denselben. Demnach musste er bedacht sein, in
jedem seiner Dramen eine Anzahl Charaktere zusammen zu
bringen, die so beschaffen sind, dass ihre Zusammenführung
notwendigerweise einen Konflikt, einen rührenden Konflikt her-
beiführt. Das hat er denn auch sehr konsequent und geschickt
gethan. In dem Sittengemälde „Die Jäger" ist die Charakter-
zeichnung vielleicht am klarsten; Ifflands Charaktere finden
sich dort gewissermassen in Reinkultur vor. Die Figuren stehen
sich in zwei Gruppen gegenüber.
Die Menschen der einen Gruppe sind gutherzige, weich-
mütige, redliche, etwas eckige, poltrige und engherzige Leute,
voller warmer Empfindung, inniger Liebe, Dankbarkeit, Treue,
Aufopferungsfähigkeit und milden Sinnes. Die Menschen der
anderen Gruppe sind zwar gebildet, aber von schlechter
Moral, intriguant, unredlich, geziert, hochnäsig, berechnend; sie
zeigen Oberflächlichkeit, Bosheit, Neid, Untreue, Stolz, Faulheit,
Lügenhaftigkeit und Gewaltthätigkeit.