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Einleitung.

Glauben und Forschen.

Glauben und Forschen waren im Keime eins,
primitives Bemühen um Weltanschauung. Mit der
Herausbildung dessen, was wir methodisches Nach-
denken und Forschen nennen, fingen die Wege an
sich zu scheiden. Ausschlaggebend war die Stellung
zu den Lebensfragen. Wer, von der Notwendigkeit
des Fortschreitens in der logischen Erkenntnis durch-
drungen, sich entschied, diesen nicht schwindelfreien
Höhenweg zu gehen, der nahm das Risiko des Irrtums
bewußt in Kauf, im Vertrauen, daß Wahrhaftigkeit
besser sei als vermeinte Wahrheit, daß ein Grundsatz
sicherer leite als ein Lehrsatz. Wer aber gewohnt,
die Lebensfragen im Lichte der alten Weltanschauung
zu sehen, die Lösung jener an die Geltung dieser
unlösbar gebunden meinte, hielt um der Lebensfragen
willen die veraltete Weltanschauung fest; die anders
gearteten neueren Erkenntnisse schob er beiseite oder
fand sich mit ihnen ab wie er mochte. Unter den
Lebensfragen begreifen wir nicht bloß die Existenz in der menschlichen Gemeinschaft,
sondern auch die Bedürfnisse des Gemüts, die zuletzt in der Mystik Befriedigung
suchen. Die Mystik stellen wir für besondere Besprechung zurück, wie wir überhaupt
das Gemütsbedürfnis, als ein Innerpersönliches, hier übergehen; aber das andere ist
öffentlicher Natur und von öffentlichem Interesse.

Die menschliche Gesellschaft organisiert sich in Staaten. Sobald nun auch der
Staat die Sicherheit dessen, was für ihn Lebensfrage ist, vom Bestände der altgewohnten
Weltanschauung abhängig glaubt, so meint er sich derer erwehren zu müssen, von
denen er für seine Götter fürchtet. Das war der Fall des gegen fremde Religion
bis zur Anerkennung und Übernahme toleranten, aber gegenüber allem den Staat
Bedrohenden, vor allem gegenüber „Atheismus" gereizten antiken Staates. Sokrates
und die Christen haben es erfahren. Der moderne Staat besteht grundsätzlich unab-
hängig von irgend einer Weltanschauung. Aber die gleichfalls politisch organisierten
Gemeinden der Gläubigen fühlen sich, wie der antike Staat, durch die Zweifler und
Forscher in ihrem Bestände bedroht und wenden nun ihrerseits gegen sie den A^orwurf

Sybel, Christliche Antike I. 1
 
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