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Tilker, Andreas
Tanikama: Dämonologie und Exorzismus in Sri Lanka — 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.8392#0047
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- 41 -

5.7. Wahrnehmung der Behandlungsmöglichkeiten durch den Patienten und
dessen Familie

Wie der Überblick zeigte, können sich Singhalesen im Krankheitsfall an
eine Reihe Spezialisten wenden. Die verschiedenen Spezialgebiete
schließen einander nicht aus, sondern werden als komplementär gesehen.
So mag ein Kranker sowohl die Dienste eines in westlicher Medizin aus-
gebildeten Arztes und eines Vederalas in Anspruch nehmen als auch einen
Astrologen konsultieren, einen Götterschrein aufsuchen und ein Exorzismus-
ritual veranstalten (s. AMARASINGHAM 1980; GOMBRICH 1971: 150).
Die Inanspruchnahme verschiedener Spezialisten steht in Einklang mit
der singhalesischen Überzeugung, daß in einem Krankheitsfall viele Ur-
sachen zusammenspielen können.

Jedoch können die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten nicht als
ein pluralistisches Medizinsystem, in dem die Alternativen gleichwer-
tig und für jeden frei verfügbar sind, angesehen werden. Die Alterna-
tiven sind im Zusammenhang ihrer sozialen und politischen Dimensionen
zu sehen. Wie GOMBRICH (1971) bemerkt, wird die Auswahl der Behandlungs-
methoden von der Subkultur des Kranken bestimmt. KAPFERER (1983:18)
hebt hervor, daß die verschiedenen Praktiken eine kulturell und sozial
differenzierende Bedeutung haben.

Dämonenrituale sind hauptsächlich Praktiken der Arbeiter- und Bauern-
schicht und werden von der Mittelschicht deswegen oft abgewertet.
Exorzismus ist für die Mittelschicht unvereinbar mit dem "wahren"
Buddhismus, als dessen Hüter sie sich betrachten (s. AMES 1963; OBEYESE-
KERE 1970). Allerdings ist die Mittelschicht in der Götterverehrung
sehr aktiv und an ihrem astrologischen Schicksal interessiert.
Für die Mittelschicht ist der Exorzismus eine "Volksreligion" der Ar-
men und Ungebildeten. KAPFERER (1983: 20-36) sieht Exorzismus als ei-
ne Metapher für soziale und politische Unterordnung, die Teil der Mit-
telschichtsideologie ist. Die zentralen religiösen Institutionen, die
Tempel, unterstehen der Obhut der Mittelschicht. Dämonenrituale,
die unabhängig von den Tempeln und den Mönchen praktiziert werden,
ermöglichen Arbeitern und Bauern, ihre rituellen Aktivitäten selbst zu
kontrollieren - außerhalb eines Rahmens, der von denjenigen beherrscht
wird, die die ökonomische und politische Macht ausüben.
 
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