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Die germanische Weltanschauung

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machte, hat wohl bei dem erstaunlich schnellen Gelingen dieser Be-
mühungen eine recht wesentliche Rolle gespielt.
In horizontaler Richtung betrachtet, ist die Erde eine Fläche, in
deren Mitte die bewohnte Welt liegt. Diese wird denn auch bei allen
germanischen Völkern „Midgaard" genannt. Ganz wie um das ange-
baute Land des Bauerngehöfts die wilde, feindselige Natur des Urwal-
des oder der öden Hochfläche liegt, so wird auch Midgaard von einer
Welt voll schrecklicher Gefahren und Finsternisse umgeben, die den
Namen „Utgaard" — Draußenhof — führt. Diese Welt da draußen ist
der Wohnsitz feindseliger Geister, die in den verschiedensten Gestalten
auftreten. Midgaard liegt demgemäß an allen Seiten von Schreck-
nissen umdroht, die niemals nachlassen werden, wieder liegt der Ver-
gleich mit den Zuständen auf einem großen Bauerngehöft nahe. Auch
der Bauer muß aus dem unbebauten Gelände beständig Angriffe von
Raubtieren fürchten, die seinem Vieh gelten; er muß sein angebautes
Land beständig gegen den ruhelos weiterwuchernden Pflanzenwuchs
des Urwalds verteidigen. Begibt er sich selber zur Iagd in den Wald,
so fühlt er sich von einer einschnürenden Stille eingeschlossen, die den-
noch von geheimnisvollen und furchteinjagenden Geräuschen erfüllt
ist. So muß Midgaard Tag für Tag auf der wache stehen gegen die
Mächte Utgaards, was der Mythos durch die Erzählung ausdrückt,
daß Thor Tag für Tag in den Lampf zieht, um die Trolle in ihre
Schranken zu verweisen.
Völker, die an der Lüste leben, kennen einen Horizont, der das Meer
einrahmt. Sie stellen sich deshalb auch gern die Welt als ein bewohn-
bares Mittelgebiet vor, das der bis an das Ende des Gesichtsfeldes
sich ausdehnende Ozean umschließt. Da liegt ein Gürtel um die Welt,
den man sich gewöhnlich in Gestalt einer Schlange vorstellt, die, ein
Sinnbild der Ewigkeit und Unendlichkeit, sich selber in den Schwanz
beißt. Das ist also die Midgaards-Schlange der Nordgermanen, die
Verkörperung des drohenden Utgaard und zugleich eine der gefähr-
lichsten Mächte, die dort herrschen. Das Ende der Welt ist nahe, wenn
sie das Band um die Erde losmacht und sich quer durch das Weltmeer
nach den Heimstätten der Menschen schnellt.
Im senkrechten Sinne herrscht der Gegensatz Himmel und Erde, die
Erde als der sichere Wohnsitz der Menschen, der Himmel, wo die gött-
lichen Mächte der Himmelskörper, die Gewalten des Regens und des
Gewitters herrschen. Diese sehr naheliegende Anschauung führt bei
 
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