DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.44910#0232
Die Germanen und ihre Umgebung
220
Durchdringung des Stoffes. Lin solcher Zwiespalt kann herrliche
Früchte zeitigen, doch kann er auch eine große Tragik bedeuten, wenn
der germanische Künstler dadurch zu einer Verkennung seines ur-
eigenen Wesens verleitet wird.
Die Germanen und ihre Umgebung
Die Germanen und die klassische Rulrur
Germanen saßen im Randgebiet -er großen Kulturen. Ihre
M^-^Wohnplätze lagen in der äußersten Finsternis, und es dauerte
lange, bis sich die strahlende Sonne des Südens über sie ergoß. Line
neue Welle nach der anderen flutete zu ihnen herauf. Im Laufe der
Zeiten wurden sie die gelehrigen Schüler der klassischen Bildung,
dann der christlichen Kirche und schließlich dermittelalterlichen Kultur.
Man ist versucht zu fragen, ob die Germanen denn nun nichts weiter
als die Nutznießer und Nachäffer der Kulturvölker des Südens waren,
oder ob sie sich nicht vielmehr im Gange der weltgeschichtlichen Ent-
wicklung ihre eigene unverbrauchte Iugendlichkeit als Volk bis zuletzt
bewahrt haben. Um diese Frage zu beantworten, dürfte es sich emp-
fehlen, einmal zu untersuchen, wie sich die Germanen gegenüber den
fremden Einflüssen verhalten haben.
Überwältigend war der Eindruck der römischen Zivilisation auf
die Germanen. Zwar kann man die Germanen keineswegs primitiv
nennen, saßen sie doch schon lange in so unmittelbarer Nachbarschaft
der Kulturvölker des Mittelmeeres, daß sie deren mittelbaren Einfluß
zu verspüren bekamen, und waren sie doch andererseits weit genug
entfernt, um sich ihre Eigenart unverfälscht zu bewahren. Aber da
stehen auf einmal über Nacht die Römer am Rhein. Ihre Schiffe
fahren an der Nordseeküste entlang. Einen Augenblick sah es so aus,
als ob die Elbe der Grenzfluß des römischen Weltreichs werden sollte.
Und schließlich erhebt sich am Rande des germanischen Wohnraumes
ein wall von befestigten Plätzen und vorgeschobenen Wachtposten, in
deren Bezirken sich das römische Leben entfaltet.
Die römische Zivilisation entwickelte sich damals stark zur In-
220
Durchdringung des Stoffes. Lin solcher Zwiespalt kann herrliche
Früchte zeitigen, doch kann er auch eine große Tragik bedeuten, wenn
der germanische Künstler dadurch zu einer Verkennung seines ur-
eigenen Wesens verleitet wird.
Die Germanen und ihre Umgebung
Die Germanen und die klassische Rulrur
Germanen saßen im Randgebiet -er großen Kulturen. Ihre
M^-^Wohnplätze lagen in der äußersten Finsternis, und es dauerte
lange, bis sich die strahlende Sonne des Südens über sie ergoß. Line
neue Welle nach der anderen flutete zu ihnen herauf. Im Laufe der
Zeiten wurden sie die gelehrigen Schüler der klassischen Bildung,
dann der christlichen Kirche und schließlich dermittelalterlichen Kultur.
Man ist versucht zu fragen, ob die Germanen denn nun nichts weiter
als die Nutznießer und Nachäffer der Kulturvölker des Südens waren,
oder ob sie sich nicht vielmehr im Gange der weltgeschichtlichen Ent-
wicklung ihre eigene unverbrauchte Iugendlichkeit als Volk bis zuletzt
bewahrt haben. Um diese Frage zu beantworten, dürfte es sich emp-
fehlen, einmal zu untersuchen, wie sich die Germanen gegenüber den
fremden Einflüssen verhalten haben.
Überwältigend war der Eindruck der römischen Zivilisation auf
die Germanen. Zwar kann man die Germanen keineswegs primitiv
nennen, saßen sie doch schon lange in so unmittelbarer Nachbarschaft
der Kulturvölker des Mittelmeeres, daß sie deren mittelbaren Einfluß
zu verspüren bekamen, und waren sie doch andererseits weit genug
entfernt, um sich ihre Eigenart unverfälscht zu bewahren. Aber da
stehen auf einmal über Nacht die Römer am Rhein. Ihre Schiffe
fahren an der Nordseeküste entlang. Einen Augenblick sah es so aus,
als ob die Elbe der Grenzfluß des römischen Weltreichs werden sollte.
Und schließlich erhebt sich am Rande des germanischen Wohnraumes
ein wall von befestigten Plätzen und vorgeschobenen Wachtposten, in
deren Bezirken sich das römische Leben entfaltet.
Die römische Zivilisation entwickelte sich damals stark zur In-