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Waagen, Gustav Friedrich
Die vornehmsten Kunstdenkmäler in Wien (2. Teil): Manuscripte mit Miniaturen, Handzeichnungen und Kupferstiche in der K.K. Hofbibliothek und Privatsammlungen: K.K. Ambraser-Sammlung, K.K. Münz- und Antiken-Cabinet, Kaiserl. Schatzkammer, K.K. Museum für Kunst und Industrie — Wien: Wilhelm Braumüller, K.K. Hof- und Universitätsbuchhhändler, 1867

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https://doi.org/10.11588/diglit.68162#0078

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Die französische Schule.
Für Frankreich sind die Miniaturen in den Prachtmanuscripten
des 15. Jahrhunderts von ganz besonderer Wichtigkeit. Da nämlich
theils in den Religionskriegen des 16. Jahrhunderts, theils in Folge
der Revolution von 1789 die grösseren Denkmäler der Malerei
mit sehr seltnen Ausnahmen zerstört worden sind, lernen wir nur
aus jenen Miniaturen, dass Frankreich in dieser Zeit eine bedeu-
tende Schule der Malerei besessen hat. Wenn sich in den fran-
zösischen Miniaturen dieser Epoche schon seit dem 14. Jahrhundert
ein starker Einfluss aus den Niederlanden kundgibt, so gesellt
sich etwa von 1460 ab hiezu ein anderer von Italien, in der
Form der dortigen Renaissance. Obwohl nun an Ursprünglichkeit
keiner dieser beiden Schulen gleich, vereinigt die französische
Schule dafür in einem sehr achtbaren Grade die Vorzüge beider.
Von den Italienern eignet sie sich den höheren Styl in der An-
ordnung, das Liniengefühl, den edlen Geschmack der Gewänder
und Verzierungen, von den Niederländern die grössere perspecti-
vische Ausbildung der Räumlichkeit in der Architectur, wie in
der Landschaft und die treffliche Technik an. Die Anzahl der
betreffenden, hier vorhandenen, Miniaturen ist gross und es be-
finden sich darunter sehr ausgezeichnete.
Zu diesen gehört in seltenem Maasse ein Gebetbuch in gross
Quart, Nr. 1855, welches auf 261 Blättern des feinsten Perga-
ments, sowohl auf dem Gebiete der kirchlichen, als jenem humo-
ristisch-weltlicher Vorstellungen eine Fülle von eigenthümlichen
Erfindungen, von einer Schönheit und einem Fleiss der Ausführung-
en thält, wie wenige Denkmäler dieser Art, und zugleich dadurch,
dass die grösseren Bilder wohl sicher von einem Niederländer
herrühren, einen schicklichen Uebergang von dieser zur franzö-
sischen Schule bildet. Der ganze sonstige Schmuck hat einen
durchaus französischen Charakter, das auf dem Katafalk der Todten-
messe vorkommende französische Wappen, drei Lilien auf goldnem
Felde (Bl. 95 a) spricht für ein Mitglied der königlichen Familie
als Besteller. Dieses kostbare Buch ist von Elisabeth, der Tochter
des Kaisers Maximilian II., als sie nach dem Tode ihres Gemals,
des Königs Carl IX. von Frankreich, nach Wien zurückkehrte,
mitgebracht worden. Der stattliche Einband von schwarzem Sammt
mit reichen, silbernen Beschlägen möchte nach dem Charakter der
Arbeit zur Zeit dieser Prinzessin in Paris gemacht worden sein.
Der zwölf Blätter einnehmende Kalender ist in dem künstlerischen
Schmucke der reichste, welcher mir jemals vorgekommen ist. Ich
 
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