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Zur Abnutzung der Metapher

hundertwende von unübersehbaren Verschleißerscheinungen begleiteten - Rheto-
risierung und exzessiven Wiederholung unterzogen hat. Der innere Widerspruch
von Peruginos Kunst gründet darin, daß er seine, aus den individuellen Ausdrucks-
und Gefühlsregungen des Menschen gewonnenen Bildmetaphern zu rhetorischen
>Begriffen< verfestigen, ja zu verbindlichen >Svmbolen< einer Trauernden, einer
Andächtigen, einer Verzückten, einer vom Göttlichen Inspirierten usf. erhärten
wollte, so wie es z. B. auch in der Pala di I dllombrosa zu sehen ist (Abb. 42), und
es ist in dieser Hinsicht aufschlußreich, daß er diese wie Symbole ohne Abwandlung
und weitgehend unabhängig von den unterschiedlichen bildlichen Kontexten quer
durch seine Werke verschoben hat. Dieses Konzept hat Perugino im späten 15. Jahr-
hundert zu einem der erfolgreichsten und produktivsten Künstler seiner Zeit \u\-
religiöse Gebrauchskunst gemacht, zugleich aber hat es seiner Kunst schon wenig
späterden Ruf der inneren Unglaubwürdigkeit eingebracht.

Für den zweiten Fall der Abnutzung und Verhärtung der Bildmetaphorik du ich
ihre Rezeption gibt es kaum ein besseres Beispiel als die Malerei von Raphael,
dessen Bilderfindungen und mit ihnen die Elemente seiner Bildmetaphorik durch
ihre prekäre Vervielfältigung und künstlerische Rezeption, zu der Raphael ironi-
scherweise selbst die ersten Anstöße durch seine Werkstattpraxis und die Reproduk-
tion einzelner Darstellungen im Medium der Druckgraphik gegeben hat, so zum
Begriff geworden sind, daß sie heute hei vielen Betrachtern eher ein Dejä ua-Erleb-
nis, als ein Se/i-Erlebnis auslösen. In einem in seinen Grenzen und Differenzierun-
gen unüberschaubaren Prozeß der künstlerischen Aneignung und kulturellen Über-
lieferung sind viele von Raphaels Bildmetaphern - erst recht im >Zeitalter ihrer
technischen Reproduzierbarkeit< - zu konventionellen Formeln, zu >Begriffen< und
zu frei von ihren ursprünglichen Bildzusammenhängen verfügbaren >Symbolen<
verwandelt worden, die in ihrem anschaulichen Rückverweis auf Raphael nicht
mehr auf das Anschauungs-, sondern nur noch auf das Erinnerungsvermögen des
Betrachters zielen. Noch in Ideinsten Fragmenten - wie z. B. den Engelputten aus
der Sixtinischen Madonna - wird kraft der kulturellen Überlieferung - und oft
erfolgreich - an dieses Erinnerungsvermögen des Betrachters apelliert, ohne daß
er hierzu jemals die Malerei Raphaels selbst zu Gesicht bekommen haben muß. Die
Pointe dieses Prozesses einer fortgesetzten Konventionalisierung und Verfestigung
von Raphaels Bildmetaphorik liegt darin, daß hierdurch die spezifische künstleri-
sche Erneuerungsleistung, die Raphael mit einer Fülle von bildlichen Erfindungen
quer durch die verschiedenen künstlerischen Gattungen als Grundlage für eine
neue, auf die Anschauung des individuellen Betrachters bezogene neuzeitliche
Bildsprache erarbeitet hat, wieder eingeebnet wurde. Das Paradox, daß sich die
Abnutzung von Raphaels anschaulicher Bildmetaphorik gerade durch ihre, aus
ihrer Anschaulichkeit begründeten Wirkungsgeschichte vollzogen hat, macht deut-
lich, daß auch eine Kunst, die - in der Bestimmung Hegels des >Klassischen< als »das

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