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Raphael als »poeta mutolo<

bereiche überboten liihI wiicl zusätzlich noch gesteigert durch den Kontrast zu
seinen wie körperlose Schatten die Figur begleitende Flügel, vor deren dunkler
Fläche sich auch der Segensgruß seiner Rechten hell abzeichnet. Gabriels Attribut
- die filigrane, dreiblütige Lilie als Zeichen der jungfräulichen Empfängnis - hat
Raphael hier abweichend von der farbsymbolischen Tradition nicht Weiß, sondern
in einem Grau ton ausgeführt, der der Farbe an der von Gottvater herabkommenden
Taube des Heiligen Geistes unmittelbar entspricht. Auf diese Weise realisiert Ra-
phael einen farbmetaphorischen Zusammenhang zwischen den beiden zentralen
symbolischen Attributen des Verkündigungsgeschehens. Darüber hinaus hat Ra-
phael auf ungewöhnliche Weise die Figur Gottvaters farblich an Gabriel angegli-
chen: Wie bei Gabriel, wird auch an der Figur von Gottvater das Purpurrose von
einem dunklen Aubergineschwarz und den lichten Inkarnattönen begleitet. Und
wie dieser hebt er seine Rechte zum hell vor dunklem Grund akzentuierten Segens-
gruß an Maria, während in seiner Linken die Weltkugel ruht. Durch die augenfäl-
ligen visuellen Entsprechungen dieser beiden Figuren erreicht Raphael, daß er den
Blick des Betrachters gleichsam parallel in einer gegabelten Bewegung, sowohl von
links unten, als auch von links oben nach rechts hin zu Maria führt, die ebenfalls
in Karminrose gekleidet ist und mit einer antwortenden Handgeste das Ziel für
beide Bewegungen bildet. Auch das Kobaltblau des Marienmantels, das hier nun
hinzutritt, hat Raphael in diesen farbkompositorischen Zusammenhang schon
vorbereitend eingeführt. Denn der Farbklang Gottvaters steht seinerseits schon im
Kontext des umgebenden Blau des Himmels, das Raphael vom vergrauten Hellblau
im Atmosphärischen nach unten in der Fernlandschaft zu einem leuchtenden
Farbton intensiviert. Von links nach rechts und damit in Richtung auf Maria
verwandelt Raphael das Blau der Ferne einerseits zu einem atmosphärisch leuch-
tenden Zitronengelb, andererseits zu einem mit Dunkel vertieften Kobaltblau, das
wörtlich dem Blau im Marienmantel entspricht. Durch diese Zusammenhänge ist
die Fernlandschaft thematisch ambivalent in die Verkündigung einbezogen: Zum
einen handelt es sich um die vom Verkündigungsgeschehen räumlich und farbig-
entrückte Welt der Menschen, in der schemenhaft architektonische Spuren
menschlicher Zivilisation angedeutet sind und die nach vorne hin nur durch eine
Brücke zum kargen, olivgrünen Mittelgrund hin verbunden ist. Zum anderen deutet
Raphael diese Ferne aber im anschaulichen Zusammenhang der dynamisch entfal-
teten farbigen Beziehungen auch als Herkunftsbereich des Blaus an Maria, das sich
im Marienmantel scheinbar mit dem Rot von Gottvater und von Gabriel verbindet.
Auch wenn Raphael den Marienfarbklang durch den Verzicht auf das Grün -
farbikonographisch betrachtet - nur wenig modifiziert, so hat er diesen im inner-
bildlichen Zusammenhang auf originelle Weise neu gedeutet, indem er das Blau
vom Irdischen, das Rot vom Göttlichen ableitet.

Der bildpoetische und farbmetaphorische Erfindungsreichtum dieser Szene

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