Zweites Kapitel. Bruchstücke aus Dürers Gedenkbuch.
15
Und ihr gewöhnlicher Brauch war, viel in die Kirche zu gehen,
und sie tadelte mich immer fleißig, wenn ich nicht gut handelte.
Und sie hatte immer wegen meiner und meiner Brüder große Sorge
vor Sünde n.Z Und ich ging aus oder ein, so war immer ihr
Sprichwort: Geh' im Namen Christi! Und sie gab uns mit hohem
Eifer beständig heilige Ermahnung und hatte fortwährend große
Sorge für unsere Seele. Und ihre guten Werke und die
Barmherzigkeit, die sie gegen jedermann erzeigt hat, kann ich nicht
genug anzeigen und ihren guten Leumund.
Diese meine fromme Mutter hat 18 Kinder getragen und erzogen,
hat oft die Pestilenz gehabt und viele andere schwere, bedeutende
Krankheiten, hat große Armut gelitten, Verspottung, Verachtung,
höhnische Worte, Schrecken und große Widerwärtigkeiten; dennoch
ist sie nie rachsüchtig gewesen.
Von dem zuvor genannten Tage an, als sie krank geworden ist,
über ein Jahr, da man zählte das Jahr 1514, an einem Dienstag —
es war der 17. Tag'Z im Maien — zwei Stunden vor nachts, ist
meine fromme Mutter Barbara Dürerin verschieden christlich m i t
allen Sakramente nJ) durch päpstliche Gewalt von
Pein und Schuld absolviert.^) Sie hat mir auch zuvor ihren
Segen gegeben und den göttlichen Frieden gewünscht mit viel schöner
Lehre, auf daß ich mich vor Sünden hüten sollte.'WSie be-
Z Die Mahnung Luthers lautete anders: „S ündige tapfer darauf los. Von
Gott reiht uns keine Sünde." Brief an Melanchthon vom 1. August 1521.
2) Dürer irrte sich im Datum, es war der l6. Mai. Der Irrtum weist auf eine
spätere Abfassung hin.
Z) d. h. sie erhielt die Lossprechung und die Kommunion, da sie jetzt die heilige
Gestalt genießen konnte, sowie das Sakrament der Ölung, weil die Todesgefahr nach
einem Jahre sich erneuert hatte.
Z Es war ihr der vollkommene Sterbeablah (Eeneralabsolution) zuteil geworden,
welcher, vom Papste verliehen, von dem eigens bevollmächtigten Priester — gewöhn-
lich nach Empfang der heiligen Sterbsakramente — gespendet wird. Demnach sieht
Dürer im Papste den Stellvertreter Christi und erkennt ihm die Macht zu, von zeit-
lichen Sündenstrafen durch Ablässe zu befreien. Diese gläubige Gesinnung widerruft
Albrecht nicht, sondern begutachtete sie „nach Weihnachten 1524" durch seine Berufung
auf das „Gedenkbuch". Luther dagegen bekämpfte seit 7 Jahren die Ablässe und
lehrte: „Die Vergebung der Schuld steht weder in Papsts, Bischofs, Priesters noch
irgend eines Menschen Amt und Gewalt auf Erden, sondern allein auf dem Worte
Christi und deinem eigenen Glauben. Die Schlüssel sind nicht St. Peter, sondern
dir und mir gegeben." Auch ist ihm „das Papsttum der abscheulichste Greuel, so je
auf Erden gewesen oder künftig sein wird" (Babylonische Gefangenschaft).
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Und ihr gewöhnlicher Brauch war, viel in die Kirche zu gehen,
und sie tadelte mich immer fleißig, wenn ich nicht gut handelte.
Und sie hatte immer wegen meiner und meiner Brüder große Sorge
vor Sünde n.Z Und ich ging aus oder ein, so war immer ihr
Sprichwort: Geh' im Namen Christi! Und sie gab uns mit hohem
Eifer beständig heilige Ermahnung und hatte fortwährend große
Sorge für unsere Seele. Und ihre guten Werke und die
Barmherzigkeit, die sie gegen jedermann erzeigt hat, kann ich nicht
genug anzeigen und ihren guten Leumund.
Diese meine fromme Mutter hat 18 Kinder getragen und erzogen,
hat oft die Pestilenz gehabt und viele andere schwere, bedeutende
Krankheiten, hat große Armut gelitten, Verspottung, Verachtung,
höhnische Worte, Schrecken und große Widerwärtigkeiten; dennoch
ist sie nie rachsüchtig gewesen.
Von dem zuvor genannten Tage an, als sie krank geworden ist,
über ein Jahr, da man zählte das Jahr 1514, an einem Dienstag —
es war der 17. Tag'Z im Maien — zwei Stunden vor nachts, ist
meine fromme Mutter Barbara Dürerin verschieden christlich m i t
allen Sakramente nJ) durch päpstliche Gewalt von
Pein und Schuld absolviert.^) Sie hat mir auch zuvor ihren
Segen gegeben und den göttlichen Frieden gewünscht mit viel schöner
Lehre, auf daß ich mich vor Sünden hüten sollte.'WSie be-
Z Die Mahnung Luthers lautete anders: „S ündige tapfer darauf los. Von
Gott reiht uns keine Sünde." Brief an Melanchthon vom 1. August 1521.
2) Dürer irrte sich im Datum, es war der l6. Mai. Der Irrtum weist auf eine
spätere Abfassung hin.
Z) d. h. sie erhielt die Lossprechung und die Kommunion, da sie jetzt die heilige
Gestalt genießen konnte, sowie das Sakrament der Ölung, weil die Todesgefahr nach
einem Jahre sich erneuert hatte.
Z Es war ihr der vollkommene Sterbeablah (Eeneralabsolution) zuteil geworden,
welcher, vom Papste verliehen, von dem eigens bevollmächtigten Priester — gewöhn-
lich nach Empfang der heiligen Sterbsakramente — gespendet wird. Demnach sieht
Dürer im Papste den Stellvertreter Christi und erkennt ihm die Macht zu, von zeit-
lichen Sündenstrafen durch Ablässe zu befreien. Diese gläubige Gesinnung widerruft
Albrecht nicht, sondern begutachtete sie „nach Weihnachten 1524" durch seine Berufung
auf das „Gedenkbuch". Luther dagegen bekämpfte seit 7 Jahren die Ablässe und
lehrte: „Die Vergebung der Schuld steht weder in Papsts, Bischofs, Priesters noch
irgend eines Menschen Amt und Gewalt auf Erden, sondern allein auf dem Worte
Christi und deinem eigenen Glauben. Die Schlüssel sind nicht St. Peter, sondern
dir und mir gegeben." Auch ist ihm „das Papsttum der abscheulichste Greuel, so je
auf Erden gewesen oder künftig sein wird" (Babylonische Gefangenschaft).