4. MÖGLICHKEITEN EINER SOZIALEN DIFFERENZIERUNG
Da größere sorgfältig untersuchte und gut doku-
mentierte urnenfelderzeitliche Siedlungen aus Un-
terfranken bisher nicht vorliegen, sind Angaben zur
Sozialstruktur nur in dem Umfange möglich, in dem
sie sich in der Beigabensitte niederschlagen. Daß
das unterschiedliche Vorkommen von Schalen mit
ausladendem und mit schlichtem Rand durch eine
soziale Gliederung zu erklären sein könnte, wurde
bereits angedeutet. In diesem Zusammenhang ist
die „Adelskeramik" zu erwähnen, eine Gruppe
qualitätvoller Beigefäße, die sich häufig in reichen
Bestattungen finden418).
Bessere Anhaltspunkte für eine soziale Differenzie-
rung liefern die Grabbronzen. Sie erlauben aller-
dings auch keine umfassende Rekonstruktion der
gesellschaftlichen Gliederung in der Urnenfelder-
zeit, sondern nur die Unterscheidung einiger her-
ausragender Inventare, wie sie vor allem das
Kultwagengrab von Acholshausen, Schwertgräber
und Grab 10 von Obernau darstellen. Dieses
zeichnet sich innerhalb der kleinen Gräbergruppe
von Obernau durch seinen Reichtum an Bronze-
beigaben und innerhalb der unterfränkischen Grab-
funde insgesamt durch die Seltenheit der geborge-
nen Gegenstände aus. Es enthielt außer Pfeilspitze
und Messer einen Tüllenhaken und einen Angelha-
ken. Geht man mit H. J. Hundt von der Annahme
aus, daß Tüllenhaken „zum Herausfischen von
Siedfleisch aus Kesseln" dienten419), so handelt es
sich bei dem Haken, wie bei den Bronzegefäßen aus
dem Ochsenfurter Raum, um ein seltenes Beispiel
für Bronzegerätschaften, die bei der Zubereitung
oder Aufnahme der Nahrung Verwendung fanden,
um Tafelgerät im weitesten Sinne. Für die Seltenheit
von Tüllenhaken bieten sich drei Erklärungen an:
1. das Essen von Siedfleisch könnte in der urnenfel-
derzeitlichen Ernährung eine seltene Ausnahme
bilden; 2. die Verwendung von Bronzegerät bei
einer solchen Nahrung könnte ungewöhnlich sein;
3. die Beigabe von bronzenem Tafelgerät könnte
eine Ausnahme darstellen (dies würde auch die
Seltenheit von Bronzegefäßen erklären). Von diesen
Erklärungsmöglichkeiten möchten wir die erstge-
nannte als relativ unwahrscheinlich ausschließen,
während die zweite und dritte möglich erscheinen,
ohne daß hier eine Entscheidung getroffen werden
könnte. In jedem Fall aber wird Grab 10 von
Obernau durch die Beigabe des Tüllenhakens aus
den übrigen Grabfunden herausgehoben, was man
auf eine besondere Stellung des hier Bestatteten
zurückführen möchte. Ähnlich ist der Angelhaken
zu werten (vgl. oben S. 49). Geht man davon aus,
daß die in einem Grab beigegebenen Gegenstände
aus einem bestimmten Grund mitgegeben wurden,
so scheint in Grab 10 von Obernau eine Person
bestattet worden zu sein, die bei der Zubereitung
oder Verteilung von Siedfleisch sowie beim Fisch-
fang eine gewisse Rolle gespielt hat.
Die Seltenheit von Schwertern in Grabfunden läßt
nach der Bedeutung des Schwertes für den jeweils
Bestatteten fragen. Die Annahme einer reinen
Waffenbeigabe erscheint ebenso unwahrscheinlich
wie die Annahme einzelner Schwertkämpfer inmit-
ten einer größeren Anzahl von Lanzenträgern. Für
die mit Schwert Bestatteten dürfte das Schwert
daher eine andere Bedeutung als nur die einer Waffe
gehabt haben. Man möchte es als Zeichen einer
Vorrangstellung deuten, nicht nur als Dokumenta-
tion von Reichtum, sondern als eines mit herrschaft-
lichen Funktionen versehenen Ranges. Ganz unge-
wöhnlich schließlich sind der Beigabenreichtum
und die Art der Beigaben des mehrfach angespro-
chenen reichen Kultwagengrabes von Acholshau-
sen. Daß der hier Beigesetzte eine besondere
Stellung in Kult oder Magie eingenommen haben
wird, wurde bereits vermutet. An dieser Stelle ist zu
fragen, ob diese Position auf den Bereich der
Religion beschränkt war oder ob — wie Chr.
Pescheck annimmt — auch mit einer Vorrangstel-
lung im Profanen zu rechnen ist. Ob das Grab ein
Schwert enthalten hat oder ob die Doppelknöpfe als
Teile eines Schwertgehänges zu deuten sind, muß,
wie oben ausgeführt wurde, offen bleiben (vgl. oben
S. 63). Damit entfällt ein wichtiger Gesichts-
punkt bei der Beurteilung der weltlichen Stellung
dieses Toten. In den Lanzenspitzen kann man wohl
kaum einen Hinweis auf eine herrschaftliche Funk-
tion erblicken. Die Lage des Grabes schließlich
weitab von den (befestigten?) Höhensiedlungen
scheint ebenfalls eher gegen die Annahme einer
weltlichen Machtstellung des in Acholshausen
Bestatteten zu sprechen. Ob die in Acholshausen
beigesetzte Person neben priesterlichen auch herr-
schaftliche Funktionen ausübe — darin stimmen wir
418) Vgl. F. R. Herrmann, Mittel- und Südhessen 27 Abb. 4 (Karte); 37; 198 (Liste).
419) H.J. Hundt, Germania 31, 1953, 152.
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^b, wvfrteauiQ
Da größere sorgfältig untersuchte und gut doku-
mentierte urnenfelderzeitliche Siedlungen aus Un-
terfranken bisher nicht vorliegen, sind Angaben zur
Sozialstruktur nur in dem Umfange möglich, in dem
sie sich in der Beigabensitte niederschlagen. Daß
das unterschiedliche Vorkommen von Schalen mit
ausladendem und mit schlichtem Rand durch eine
soziale Gliederung zu erklären sein könnte, wurde
bereits angedeutet. In diesem Zusammenhang ist
die „Adelskeramik" zu erwähnen, eine Gruppe
qualitätvoller Beigefäße, die sich häufig in reichen
Bestattungen finden418).
Bessere Anhaltspunkte für eine soziale Differenzie-
rung liefern die Grabbronzen. Sie erlauben aller-
dings auch keine umfassende Rekonstruktion der
gesellschaftlichen Gliederung in der Urnenfelder-
zeit, sondern nur die Unterscheidung einiger her-
ausragender Inventare, wie sie vor allem das
Kultwagengrab von Acholshausen, Schwertgräber
und Grab 10 von Obernau darstellen. Dieses
zeichnet sich innerhalb der kleinen Gräbergruppe
von Obernau durch seinen Reichtum an Bronze-
beigaben und innerhalb der unterfränkischen Grab-
funde insgesamt durch die Seltenheit der geborge-
nen Gegenstände aus. Es enthielt außer Pfeilspitze
und Messer einen Tüllenhaken und einen Angelha-
ken. Geht man mit H. J. Hundt von der Annahme
aus, daß Tüllenhaken „zum Herausfischen von
Siedfleisch aus Kesseln" dienten419), so handelt es
sich bei dem Haken, wie bei den Bronzegefäßen aus
dem Ochsenfurter Raum, um ein seltenes Beispiel
für Bronzegerätschaften, die bei der Zubereitung
oder Aufnahme der Nahrung Verwendung fanden,
um Tafelgerät im weitesten Sinne. Für die Seltenheit
von Tüllenhaken bieten sich drei Erklärungen an:
1. das Essen von Siedfleisch könnte in der urnenfel-
derzeitlichen Ernährung eine seltene Ausnahme
bilden; 2. die Verwendung von Bronzegerät bei
einer solchen Nahrung könnte ungewöhnlich sein;
3. die Beigabe von bronzenem Tafelgerät könnte
eine Ausnahme darstellen (dies würde auch die
Seltenheit von Bronzegefäßen erklären). Von diesen
Erklärungsmöglichkeiten möchten wir die erstge-
nannte als relativ unwahrscheinlich ausschließen,
während die zweite und dritte möglich erscheinen,
ohne daß hier eine Entscheidung getroffen werden
könnte. In jedem Fall aber wird Grab 10 von
Obernau durch die Beigabe des Tüllenhakens aus
den übrigen Grabfunden herausgehoben, was man
auf eine besondere Stellung des hier Bestatteten
zurückführen möchte. Ähnlich ist der Angelhaken
zu werten (vgl. oben S. 49). Geht man davon aus,
daß die in einem Grab beigegebenen Gegenstände
aus einem bestimmten Grund mitgegeben wurden,
so scheint in Grab 10 von Obernau eine Person
bestattet worden zu sein, die bei der Zubereitung
oder Verteilung von Siedfleisch sowie beim Fisch-
fang eine gewisse Rolle gespielt hat.
Die Seltenheit von Schwertern in Grabfunden läßt
nach der Bedeutung des Schwertes für den jeweils
Bestatteten fragen. Die Annahme einer reinen
Waffenbeigabe erscheint ebenso unwahrscheinlich
wie die Annahme einzelner Schwertkämpfer inmit-
ten einer größeren Anzahl von Lanzenträgern. Für
die mit Schwert Bestatteten dürfte das Schwert
daher eine andere Bedeutung als nur die einer Waffe
gehabt haben. Man möchte es als Zeichen einer
Vorrangstellung deuten, nicht nur als Dokumenta-
tion von Reichtum, sondern als eines mit herrschaft-
lichen Funktionen versehenen Ranges. Ganz unge-
wöhnlich schließlich sind der Beigabenreichtum
und die Art der Beigaben des mehrfach angespro-
chenen reichen Kultwagengrabes von Acholshau-
sen. Daß der hier Beigesetzte eine besondere
Stellung in Kult oder Magie eingenommen haben
wird, wurde bereits vermutet. An dieser Stelle ist zu
fragen, ob diese Position auf den Bereich der
Religion beschränkt war oder ob — wie Chr.
Pescheck annimmt — auch mit einer Vorrangstel-
lung im Profanen zu rechnen ist. Ob das Grab ein
Schwert enthalten hat oder ob die Doppelknöpfe als
Teile eines Schwertgehänges zu deuten sind, muß,
wie oben ausgeführt wurde, offen bleiben (vgl. oben
S. 63). Damit entfällt ein wichtiger Gesichts-
punkt bei der Beurteilung der weltlichen Stellung
dieses Toten. In den Lanzenspitzen kann man wohl
kaum einen Hinweis auf eine herrschaftliche Funk-
tion erblicken. Die Lage des Grabes schließlich
weitab von den (befestigten?) Höhensiedlungen
scheint ebenfalls eher gegen die Annahme einer
weltlichen Machtstellung des in Acholshausen
Bestatteten zu sprechen. Ob die in Acholshausen
beigesetzte Person neben priesterlichen auch herr-
schaftliche Funktionen ausübe — darin stimmen wir
418) Vgl. F. R. Herrmann, Mittel- und Südhessen 27 Abb. 4 (Karte); 37; 198 (Liste).
419) H.J. Hundt, Germania 31, 1953, 152.
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