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Wischermann, Heinfried; Wischermann, Heinfried [Hrsg.]
Berichte und Forschungen zur Kunstgeschichte (Band 17): Die " figura in cima al baldacchino" in Verona: Bemerkungen zum Wanddenkmal der Familie Brenzoni in San Fermo Maggiore von 1435-1438 — Freiburg i. Br., 2023

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https://doi.org/10.11588/diglit.66626#0038
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Der einfallsreiche Conceptor des Programms unseres Grabaltarretabels ist unbekannt. Für
die ungewöhnliche „Verkündigung“ kommt nur Pisanello selbst als Entwerfer in Frage. Die
Verflechtung der gemalten und der skulptierten Teile unseres Wanddenkmals ist inhaltlich so
überzeugend, daß Nanni und Pisanello zusammengearbeitet252 haben müssen. Die
Bibelkenner unter den Mönchen des Franziskanerklosters werden sie beraten haben. Daß die
„Verkündigung an Maria“ und die „Auferstehung Christi“ am Anfang und am Ende des
irdischen Lebens Christi stehen, belegen einleuchtend um 1320 die Reliefs am Anfang und
am Ende der beiden Türstürze des Hauptportals von Santa Anastasia 253 in Verona.
XV.
Abschließend möchte ich auf die Möglichkeit aufmerksam machen, sich mit dem Monument
der Familie Brenzoni mit den Mitteln der Paläographie und der Epigraphik zu
beschäftigen254. Für einen Kunsthistoriker sind Grundkenntnisse der Epigraphik oder
Inschriftenkunde so unverzichtbar wie Leseübungen von Textquellen (Verträge, Testamente
etc.) in verschiedenen Sprachen - besonders der lateinischen - und aus unterschiedlichen
Epochen. Auf Inschriften, Aufschriften, Umschriften und Beschriftungen wird er besonders
beim Studium mittelalterlicher Kunstwerke immer wieder treffen. Schon im Grundstudium
sollte er mit dem Lesen, Übersetzen, Datieren, Lokalisieren und Interpretieren von
lateinischen Texten - z. Bsp. auf Denkmälern aus Stein oder Metall (Grabdenkmäler und
Epitaphe, Glocken etc.), aus Holz, Glas, Email und Stoff- vertraut gemacht werden.255
Zum „Grabaltarbild“ der Familie Brenzoni gehören vier gemeißelte Inschriften, die ich in
der Abfolge ihrer wahrscheinlichen Entstehungszeit kurz kommentiere: die Umschrift am
Trigramm des Bemhardin von Siena (Abb. 4), die „Signatur“ des Bildhauers Nanni di Bartolo
(Abb. 5), die „Signatur“ des Freskomalers Pisanello (Abb. 5) und die beiden Tafeln in den
unteren Ecken des Reliefs (Abb. 6). Die gemalten Worte auf dem Band des Propheten David
(Abb. 23) sowie die auf der Teppichborte (Abb. 21) und dem Rundkissen (Abb. 22) im
Gemach der Gottesmutter können bei der Datierung des Wanddenkmals kaum helfen, da
Pisanello spätgotische Buchstaben aus Handschriften und von Arras-Teppiehen, die er
abgezeichnet hatte, in sein Fresko eingesetzt hat.
Die verfügbaren Handbücher zur italienischen Schriftkunde des Spätmittelalters und der
Frührenaissance256 fordern einen Versuch der Präzisierung der Entstehungszeit eines
252 Vgl. zu dieser Arbeitsweise u. a. Harriet McNeal, Work in progress - Workshops and partnerships; in: Steven
Bule u. a., Verrocchio and late Quattrocento Italian sculpture, Firenze 1992, 357-373. Vgl. auch Dario A. Covi,
Andrea del Verrocchio - Life and Work (Arte e Archeologia - Studi e Documenti 27), Firenze 2005.
253 Gaudioso 1996,71.
254 Die Paläographie ist die Wissenschaft der Schriftkunde; sie untersucht die Entwicklung und die Formen der
Buch- und Urkundenschriften des Altertums und des Mittelalters. Die Epigraphik ist die Wissenschaft von der
Entwicklung und den Formen gemeißelter, gravierter, gemalter, gegossener etc. Inschriften/Aufschriften auf
Trägern aus Stein, Holz, Bronze etc. Als Paläograph oder Epigraphiker wird sich ein Kunsthistoriker selten
betätigen, er sollte aber Grundkenntnisse im Lesen, Datieren, Einordnen, Übersetzen, Interpretieren solcher
Texte erworben und das Handbuch von Bernhard Bischoff (1906-91) zur „Paläographie des römischen Altertums
und des abendländischen Mittelalters“ (Berlin 1979, 41992) sowie die „Einführungen“ von Emst Meyer und von
Rudolf Kloos zur Kenntnis genommen haben.
255 Gut bebilderte Einführungen bieten Helga Giersiepen/Clemens Bayer (Inschriften, Schriftdenkmäler -
Techniken, Geschichte, Anlässe, Niedernhausen 1995) und Sabine Wehking/Christine Wulf (Leitfaden für die
Arbeit mit historischen Inschriften, Melle 1997). Muß man betonen, daß kein Institut für Kunstgeschichte auf
das „Grosse Latinum“ bei Studiumsanfängern verzichten sollte? Hinzunehmen sollte man noch das „Graecum“
sowie das „Hebraicum“. Oder kann man sich ohne altsprachliche Grundkenntnisse mit dem Text der Bibel, der
wichtigsten Textquelle des Faches, vertraut machen?
256 Zur Epigraphik in Italien vgl. u. a. Giulio Battelli (1904-2005), Lezioni di Paleografia, Cittä del Vaticano
1936,31949; Emst Meyer (1898-1975), Einführung in die lateinische Epigraphik, Darmstadt 1973,31991;
 
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