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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 2.1907

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Tumarkin, Anna: Ästhetisches Ideal und ethische Norm
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https://doi.org/10.11588/diglit.3530#0173
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ÄSTHETISCHES IDEAL UND ETHISCHE NORM. 169

sache; wohl aber dürfte noch darauf hingewiesen werden, daß auch
die zweite Wertgruppe, daß die objektiven realen Werte nicht in dem
Sinne Eigenwerte sind, wie die ästhetischen Werte. Wenn ich bei der
Wahl einer Handlung mich von sittlichen Motiven leiten lasse, sie von
sittlichem Standpunkt beurteile, ethisch werte, so bringe ich sie in Be-
ziehung zu etwas für mich Feststehendem, das mir zur Norm dient
und an dem ich jene Handlung messe. Was diese meine Norm ist,
ob der Wille Gottes oder das Wohl der Menschheit oder die Ent-
wicklung der menschlichen Gattung in ihren einzelnen Vertretern, das
gilt gleich viel, aber irgend ein ethisches Grundprinzip muß ich haben,
das als etwas Gegebenes, Objektives für mich feststünde, woran ich
die einzelne sittliche Handlung halten, was ich mir in jedem einzelnen
Falle zum Maßstab nehmen könnte. Das ethische Werten geschieht
immer im Hinblick auf die als höchste erkannte Norm, wie auch das
sittliche Verhalten auf der Beziehung der einzelnen Willensakte zu dieser
Norm beruht. Die sittliche Handlung hat ihren Wert zwar nicht als
Mittel zu einem durch sie erreichbaren Zweck, aber sie hat ihn auch
nicht an sich, sondern gewinnt ihn erst durch ihre Beziehung zu der
an sich wertvollen Norm. Es gibt daher wohl eine autonome, d. h.
nicht durch äußere Macht erzwungene, sondern durch eigene Vernunft
in ihrer Berechtigung erkannte Ethik, aber keine heautonome Ethik,
keine Ethik, nach der wir selbst unser Selbstzweck wären, keine Ethik,
deren Schwerpunkt in uns selbst läge; denn die Ethik setzt ein be-
wußtes Soll voraus, das meinem natürlichen Wollen als etwas Objek-
tives, über mich Hinausweisendes gegenübertritt. Ich kann nicht mein
eigener Gesetzgeber sein, ich kann mich zur Befolgung des Gesetzes
erziehen, aber das Gesetz selbst muß mir von außen gegeben sein,
oder ich muß wenigstens glauben, daß es mir von außen gegeben ist.
Wie eine absolute ethische Norm möglich ist, d. h. wie ein Gesetz,
das unsere Vernunft aufstellt, uns als absolute, objektive Gegebenheit
entgegentreten kann, das ist das letzte, wohl überhaupt unlösbare Pro-
blem der Ethik; Tatsache ist, daß ein sittliches Gesetz nur in der Form
einer absoluten, objektiven Norm möglich ist, denn ich kann mich
weder vor mir selbst noch vor etwas von mir Abhängendem beugen.
Anders verhält es sich mit der ästhetischen Wertung. Hier gibt es
keine objektive Norm, auf die das Objekt bezogen würde; die Wertung
beruht hier auf dem subjektiven Vorgang der Einfühlung mit der darin
liegenden Selbstbejahung, die zur Bejahung des veranlassenden Ob-
jektes wird. Das Objekt wird bejaht an sich, ganz unabhängig von
allen Beziehungen zu etwas außerhalb der Objektvorstellung; das Ob-
jekt hat seinen Wert nur als Spiegel, der uns unseren eigenen Wert
reflektiert, wir bejahen uns im Spiegel des Objekts, und zwar nicht
 
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