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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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Klein, Johannes: Urmotivierung und Sekundärmotivierung bei Gottfried Keller und C. F. Meyer
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https://doi.org/10.11588/diglit.14173#0127
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Urmotivierung und Sekundärmotivierung bei
Gottfried Keller und C. F. Meyer.

Von

Johannes Klein.

Wenn eine Dichtung ihr Jahrhundert überdauern soll, so muß sie
unmittelbar das Leben noch einmal sein, ein Mikrokosmos, in dem das
Große auf kleiner Fläche, im Brennpunkt zusammenstrahlt. Ihre Wur-
zeln müssen in der Kraft des Elementaren liegen, sonst vermißt ein
anderes Jahrhundert den Lebenshauch. Das soll nicht heißen, daß das
Elementare dasselbe wie das Primitive ist, — es wäre denn im Sinne
des Primum: der Ur-Erscheinung. Da, wo das Leben alle Kräfte eines
Dichters langsam ergreift und strafft, bis ein zweites schöpferisches
Leben organisch aus ihnen hervorgeht, ist auch formal vollendete
Kunst. Je mächtiger der einbrechende Lebens-Strom, um so machtvoller
muß er gebannt werden, damit er den Erlebenden nicht sprengt. So
arbeitet Leben an Leben und ergibt ein Neues: den Mikrokosmos der
Kunst. Es sind daher keineswegs die formlosen, herausgestammelten
Produkte, die der Natur am nächsten stehen. Je schmächtiger das Er-
lebnis, desto geringer die aufzubringende Bewältigungskraft. Die mäch-
tigsten Dichtungen werden auch immer die hohe Tendenz zur Form
haben.

Grundbegriffe.

Aus der alten, grundsätzlichen Frage nach der größeren Naturnähe
Kellers und der entsprechenden Naturferne Meyers möchte ich zwei
Grundbegriffe entwickeln, die als Maßstäbe der Kraft Kellers und
Meyers dienen sollen: Urmotivierung und Sekundärmoti-
vierung. Ich grenze die Gültigkeit dieser Anwendung vorerst auf das
vorliegende Thema ein, weil der Reichtum dichterischer Formen auch
einen Reichtum dichtungsgeschichtlicher Methoden zur Folge haben
sollte. Eine Methode ist nicht mehr als ein Licht in einer Schatzkammer:
dort, wohin es fällt, strahlen Diamanten und Kostbarkeiten auf, aber
hinter dem Licht bleiben ungezählte Schönheiten in Dunkelheit.--

Urmotivierung nenne ich das unmittelbare Verhältnis zwischen
Leben und Kunstwerk. Eine Ur-Erscheinung wird Urmotiv einer Dich-

Zcitschr. f. Ästhetik u. allg. Kunstwissenschaft. XXVIII. 8
 
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