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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 28.1934

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Dragomirescu, Michael: Die Integrale Ästhetik
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https://doi.org/10.11588/diglit.14173#0275
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BEMERKUNGEN

261

Die integrale Ästhetik.

Von

Michael Dragomirescu.

Außer der körperlichen und der seelischen Welt, die allgemein anerkannt sind,
lehrt der Integralismus als Philosophie noch eine besondere dritte Welt: die
psychophysische. Jedermann weiß, daß die Körperwelt durch den Akt der Er-
kenntnis nicht verändert wird, hingegen die Bewußtseinsvorgänge, sobald sie
Gegenstand der Erkenntnis werden, Veränderungen erfahren. Das Psychophysische
verändert sich im Gehalt und bleibt unverändert in der Gestalt. Die Inhalte der
psychophysischen Welt erhalten Existenz durch die Formen der analytischen Kau-
salität in den Gesetzen der Wissenschaft; durch die Formen der synthetischen
Kausalität in den Werken der Kunst; durch die Formen der gegenständlichen
Kausalität in Geschichte und Religion.

Die integrale Ästhetik hat es nur mit der Schönheit der großen Kunstwerke
zu tun; sie beschäftigt sich nicht mit dem Naturschönen, auch nicht mit dem
Raffinierten- und Mechanisch-Schönen. Ihre Werte sind: der symbolische, der
ästhetische und der absolute Wert. Daß Symbolisches sich lediglich in der mensch-
lichen Schöpfung des Kunstwerkes finden kann, ist klar. Unter ästhetischem Wert
verstehen wir denjenigen, der an der Eigenart des Künstlers haftet. Absolut heißt
der Wert, der in der Unabänderlichkeit der Werkform begründet ist. Genauer
gesagt bedeutet Symbolwert, daß jedes Element der Form ein Element des Ge-
halts und ebenso jedes Element des Gehalts ein Element der Gestalt in sich schließt;
in einem Kunstwerk wird jedes physische Element zu einem seelischen und jedes
seelische zu einem physischen. Während beim Naturschönen und im Raffiniert-
und Mechanisch-Schönen der psychische Eindruck unverändert bleibt, verändert
sich der ästhetische Wert des Kunstwerks nach der erzeugenden Idee. Eine Kunst-
form, die unwandelbar bleibt, fehlt auf den andern Gebieten des Schönen: diesem
mangelt der absolute Wert.

Wir kommen nun zu dem zweiten Hauptsatz der integralen Ästhetik. Das
Schöne ist weder transzendent, wie Piaton meinte, noch rein empirisch, wie
Fechner lehrte. Es ist transzendent durch den Gehalt, empirisch durch die Ge-
stalt; die Beziehung zwischen Gehalt und Gestalt ist psychophysischer Art. Wie ein
veränderter Inhalt zu einer unveränderten Form wird — dieses Rätsel können
wir nur in der Tiefe des Bewußtseins lösen. Das Bewußtsein hat drei Schichten:
die empfindliche, die zerlegte und die unzerlegte. Im Verstehen des Kunstwerkes
spielt die tiefste, die unzerlegte Schicht eine große Rolle.

Der dritte Hauptsatz der integralen Ästhetik ist die Unterscheidung der
schöpferischen und der bürgerlichen Persönlichkeit des Künstlers. Der Schaffens-
vorgang ist unbewußt; das Bewußtsein dient ihm nur zur Auslösung.

Nach dem vierten Hauptsatz dieser Ästhetik ist ein Kunstwerk niemals
Individuum, sondern Gattung. Nur in unserer Vorstellung wird das Werk indivi-
duell. In seinem Ansich ist ein Kunstwerk unzugänglich: niemand kann sagen,
daß er es in seinem innersten Wesen kenne. Wohl aber können wir uns ihm
methodisch nähern, und zwar durch die Methode der Dreiteilung. Ein Kunstwerk
hat sozusagen drei Organe: den Gehalt (affektiv), die Form (intellektuell) und die
Harmonie (volitiv). Im Gehalt wiederum sind drei Elemente, nämlich die er-
 
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