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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0082
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BESPRECHUNGEN

theorie. Ihnen allein bietet M.-Fr. die leitenden Gesichtspunkte und schon ein reiches
Maß grundlegender Erkenntnis.

Berlin. Oskar Wulff.

Raymond Bayer: L'Esthetique de lagräce. Introduction ä l'etude des
equilibres de structures. Paris, Felix Alcan, 1933.

Eine Ästhetik der Grazie! Raymond Bayer legt uns über diesen fesselnden und
bedeutsamen Gegenstand eine umfangreiche Untersuchung vor, die überreich ist an
Gedanken, Einzelanalysen und Beispielen. Vielleicht ist dieser Reichtum sogar zu
groß. Viele Blätter, zu wenig Zweige und zu wenig Stamm. Immerhin recht bedeutsam.

Die Arbeit stellt eine von der Pariser Universität angenommene These de doc-
torat dar. Es ist bekannt, wie sich an dieser Universität allmählich der Brauch, oder
besser: der Mißbrauch (gegen den glücklicherweise die meisten Lehrer Widerstand
zu leisten beginnen) herausgebildet hat, ungeheuerlich umfangreiche Doktorarbeiten
einzureichen. So werden von einer Arbeit, die nur der Auftakt einer wissenschaft-
lichen Laufbahn sein soll, die Qualitäten der Reife und der Meisterschaft verlangt, wäh-
rend doch beide Eigenschaften erst in langjähriger Erfahrung erworben werden können.
Diese (Victor Bäsch, dessen Einfluß öfter spürbar wird, gewidmete) Doktorthese ge-
hört zu den umfangreichsten ihrer Art: zwei Bände mit einem Gesamtumfang von
1213 Seiten! Was an Schlechtem und Gutem darüber gesagt werden kann, läßt sich
in ein Wort zusammenfassen: es ist eine Summa. Eine wahrhaft eindrucksvolle Summe
von Überlegungen und Beobachtungen, die von einem jungen Autor vorgelegt werden,
der sich notwendigerweise seines eigenen Weges zwischen den vielen Einflüssen hin-
durch noch nicht sicher ist und der auch noch weit entfernt ist, die Übermasse dessen,
was er sieht, denkt und weiß, zu beherrschen. Doch dürfen diese notwendigen Ein-
schränkungen keineswegs den Eindruck erwecken, als handle es sich hier um ein
Buch, das man übergehen könnte. Ganz im Gegenteil. Hinzufügen müssen wir noch,
daß Bayers Werk von der Art derer ist, die zwangsweise durch eine Besprechung
verstümmelt werden; muß eine solche Besprechung doch den Hauptton auf den Ge-
samtaufbau, die Methode und die Leitidee legen (gerade alles das ermangelt hier der
Entschiedenheit) und den Reichtum an Einzelheiten und den feinen Takt in ihrer
Auswahl, die das Hauptverdienst der vorliegenden Arbeit bilden, außer Acht lassen.

Das Werk setzt (I, S. 1—30) ein mit einer viel zu kurzen Einleitung über die
Geschichte der Theorien, die ziemlich willkürlich folgendermaßen angeordnet werden:
Metaphysische Theorien der Grazie: Empedokles, Plato, Plotin, Sendling; Humani-
stische Theorie: Home; Mechanistische Theorie: Spencer; Ethische Theorie: Schiller.
Im Zentralstück des Werkes selbst findet man allerdings eine viel reichere und besser
ausgewogene Unterlage und am Schluß eine ausgezeichnete Bibliographie,
die wie ein Index zu benutzen ist. In der Abfassung dieser Bibliographie hat sich der
Verf. nicht nur damit begnügt, eine Bücherliste aufzustellen; vielmehr hat er das
ausgeführt, was man in gleichen Fällen immer tun sollte: er hat für jedes angeführte
Werk alle die Stellen, die sich auf das Problem der Grazie beziehen, genau angegeben.
Alle, die in Zukunft über diesen Gegenstand arbeiten werden, können sich darauf
stützen.

Im folgenden untersucht der Verf. zunächst die natürliche Grazie (Buch I: La
gräce et la vie; unterteilt in zwei Kapitel: Gräce et mouvement; Gräce et vie psy-
chique). Hier liegt der schwächste Punkt der ganzen Arbeit. Aus einem deutlich
spürbaren Streben nach einer objektivistischen Ästhetik heraus hat der Verf. die vita-
len Grundlagen der Gefühlsreaktion gegenüber dem Anmutigen völlig vernachlässigt,
 
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