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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0085
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BESPRECHUNGEN

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aus zutreffend. Gerade dies verdiente jedoch eine weitere Vertiefung in besonderer
Beziehung zum Problem von der „trügerischen Grazie" (le mensonge de la gräce),
das vom Verf. zu sehr vernachlässigt wird.

In den Kapiteln VIII und IX findet sich eine Untersuchung des Tanzes, der aus-
schließlich im Rahmen des traditionellen französischen Ballets betrachtet wird, eine
Kunstform, für die der Verf. ein ganz außerordentliches Verständnis beweist. Wir
weisen vor allem hin auf die Untersuchungen „plans rares" (II, S. 289) und „quel-
ques regimes d'evolutions gräcieuses" (S. 304 ff.), die ein scharf umrissenes und fes-
selndes Tatsachenmaterial enthalten.

Die letzten Kapitel versuchen synthetisch die in den vorhergehenden analytischen
Untersuchungen gefundenen Merkmale zu vereinigen. Natürlich tritt hier der Grund-
fehler des Werkes besonders deutlich hervor. Ohne sie grundsätzlich voneinander
trennen zu können, trägt der Verf. Merkmale zusammen, die sich auf die reine Kunst,
die Kunst im allgemeinen und solche, die sich auf das engere Problem des Graziösen
beziehen. Wir weisen in diesem letzten Zusammenhang insbesondere hin auf die
Seiten 360 („la tendance au polymorphisme"), 377 (die Behauptung „que l'organisa-
tion, dans les structures de la gräce, vient de l'enveloppe"), 473 (die Bedeutung des
„aspect naissant"). Vgl. auch S. 352 und 364, die Diskussion des Problems der
„petitesse esthetique" im Zusammenhang mit Lipps. S. 328 („l'equilibre de struc-
ture"), 392, 408, 424 usw. findet man umgekehrt Beispiele für allgemeine Merkmale.

Natürlich ist es ein haltloses Unternehmen, wie es in jedem Augenblick in dem
Werke hervortritt, eine allgemeine und objektive Ästhetik zu gründen auf die Unter-
suchung einer einzigen ästhetischen Kategorie. Nur die Subjektivisten können sich
daran versuchen.

Immerhin ist der Verf. mutig an das Problem der kategorialen Aufteilung des
ästhetischen Gegenstandes herangegangen (S. 395 ff., 471 ff., 552). Allerdings springt
die Schwäche der Lösung in die Augen (Charakteristik der Grazie im Verhältnis
zu benachbarten Kategorien durch Niveauunterschiede; S. 408). Es war auch gar
nicht anders zu erwarten, da die Anhäufung der Tatsachen im Zusammenang mit der
vom Verf. benutzten Methode (die aller Vergleichung aus dem Wege geht) niemals
eine Problemlösung zulassen werden. Der gleiche entwurfsartige Charakter findet
sich auch an den Stellen (I, S. 317; II, S. 434, 470, 488, 516), wo der Verf. dem Pro-
blem einer allgemeinen Theorie seines Gegenstandes zu Leibe geht und die Beziehun-
gen zwischen einer „analyse des aspects" und einer „rhythmique generale, ou science
des transferts de l'oeuvre au sujet" genauer zu bestimmen sucht. Vielleicht ist er auch
gerade an diesem Punkte von der uneinheitlichen Mannigfaltigkeit der empfangenen
Eindrücke behindert worden.

Wir wünschen keineswegs, daß die bedeutsamen Einschränkungen, die wir über
die der Sicherheit ermangelnde Methode des Verf. machen mußten, das Buch im gan-
zen als wertlos erscheinen lassen mögen. Wir haben schon darauf hingewiesen, daß
das Buch einen derartigen Reichtum in den Einzelheiten und einen so sinnvollen
Scharfsinn in der Analyse beweist, daß man das Hin- und Herschwanken des philo-
sophischen Unterbaus vergessen kann. Das ganze Buch ist selber (mit Ausnahme sei-
nes Umfanges allerdings!) nach den Gesichtspunkten der Ästhetik des Graziösen ver-
faßt: ein fließender Übergang, vermittelt durch die „umhüllende" Schreibweise, die
manchmal etwas zu nervös und zu wenig zwanglos ist; eine anschmiegsame und er-
schöpfende Mannigfaltigkeit der Blickpunkte und Gedankenrichtungen.

Wer es jemals unternimmt, über das hier vorliegende Problem zu arbeiten, wird
gewiß keinen Anblick dieses Problems, ganz gleich welcher Art (mit Ausnahme der
in dieser Besprechung vermerkten), finden, der nicht irgendwo in diesem Werke aus-
 
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