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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 29.1935

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https://doi.org/10.11588/diglit.14176#0194
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BESPRECHUNGEN

andere das andere Theater gepflegt werden? — Auf diese Weise dürfte es kaum
gelingen, das Theater wieder zu einem künstlerischen Lebensbedürfnis zu machen.
Die bestechende, im Augenblick des Überganges zutreffende, dilatorische Formulie-
rung rechnet nicht mit der Einheitlichkeit einer lebendigen Entwicklung. Die Dra-
matiker, die hoffentlich aus dem Gestaltungsdrängen des Volkes hervorgehen, werden
nicht auf jene lebendigen Kräfte verzichten.

Über die Bereitschaft des Theaters zu ernsthafter dramatischer Gestaltung denkt
Junghans optimistisch. Nur Verleger und Kritiker, die beide heute etwas in den Hin-
tergrund geraten sind, glaubt er zu einer Verschwörung für das dramatische Theater
aufrufen zu müssen. Diese Zurückhaltung gegenüber dem Theater, für dessen un-
lösbare Verknüpfung mit dem Drama gerade Junghans in seinem Buch über das
Zeitproblem und auch in der vorliegenden Schrift so überzeugend eingetreten ist, ist
unverständlich. Wer für das Drama kämpft und es trotz aller Liebe nicht aus der
Erde stampfen kann, wer noch dazu die Gegenwartsnähe Kleistischer Formen zu
spüren vermeint, dem sollte nichts angelegener sein, als die Regisseure und Schau-
spieler aufzustacheln aus ihrer Verzagtheit, ihrer Stilunsicherheit, ihrer naturalisti-
schen Scheu vor jeder starken Form, ihrem bequemen Ausweichen in die Manieren
des 19. Jahrhunderts. Bei allem guten Willen der Schriftsteller, der Verleger, selbst
der Kritiker, ist doch die Bühne die einzige Stelle, die das Erhoffte planmäßig vor-
bereiten könnte, indem sie das klassische Drama wieder zu erobern sucht, indem sie
den heroischen Stil, von dem man spricht, zu verwirklichen wagt, indem sie die
Elemente der theatralischen Erscheinung, deren es bedarf, von Grund auf sich neu
erarbeitet: vom Dialog, vom Wort an bis zum Zusammenklang der Gesten, vom
Kleid bis zur Architektur. Hier wäre allerdings unendlich viel an praktischer Vor-
bereitung anzuregen und zu leisten; alles andere führt nach vielen klugen Fest-
stellungen nur zu dem Schluß, mit dem uns auch diese Schrift entläßt: die Aussicht
auf das zu erhoffende Kunstwerk. —

Es könnte die Erneuerung des deutschen Theaters unterstützen, wenn es endlich
gelänge, ihm seine Überlieferung lebendig zu machen. Es wird noch vieler theater-
geschichtlicher Arbeit bedürfen, bis ein Bewußtsein deutscher theatralischer Eigenart
vorhanden ist und fruchtbar wird. Es ist durchaus richtig, daß die Betrachtung des
Biographischen dabei am wenigsten wichtig ist, aber man muß auch anerkennen,
daß die Theatergeschichte sich längst nicht mehr damit aufhält, sondern künst-
lerische Dinge zu beleuchten sucht. Leider kann die schematische und unerlebte Art,
in der Junghans im Eingang seines Buches die deutsche Theatervergangenheit als
hoffnungslos verunglückt abtut, ja vor ihr warnt, nicht anders als schädlich wirken.
Er hat viel am Theaterbau zu tadeln — ohne die Tendenzen zu beachten, die schon
in Gillys und Schinkels Schaffen einsetzen und geradewegs zum Heutigen führen.
Er schildert, wie alle Ansätze zum nationalen Theater scheiterten — ohne Wagners
Werk überhaupt nur zu erwähnen. Er selbst hält es für möglich, daß man An-
knüpfungspunkte für die Weiterarbeit in der Vergangenheit findet, um so unverant-
wortlicher aber ist es, wenn er sich nur bemüht, das Gegenteil darzulegen. Daß er
dabei das klassische Drama und die Kunst der großen Schauspieler (von denen er
eine seltsam akademische Auswahl anführt) bis zu einem gewissen Grade ausnimmt,
ist so selbstverständlich, daß es das schnell fertige Verdammungsurteil über das
Übrige nicht rechtfertigt. Auf jeden Fall ist es abzulehnen, wenn dem größeren
Publikum, für das diese Schriften gedacht sind, auf solche Weise die kunstwissen-
schaftliche Beschäftigung mit dem Theater statt der geschichtlichen nahegebracht
werden soll.

Berlin. Winfried Klara.
 
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