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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 30.1936

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https://doi.org/10.11588/diglit.14193#0302
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Denker nichts weniger als den totalen Ausdruck einer Gesamtpersönlichkeit, wie er
denn auch aus dieser Totalität seines Persönlichkeitsgefühls heraus den spezifisch
„geistigen" Anteil am künstlerischen Schaffen namentlich Benedetto Croce gegenüber
mit Nachdruck verficht.

München. Franz Arens.

Elisabeth Darge: Lebensbejahung in der deutschen Dich-
tung um 190 0. Breslau, Maruschke & Berendt, 1934. 273 S. RM, 7.50.
(Deutschkundl. Arb. Veröffentl. aus dem Dtsch. Inst, der Univ. Breslau. A. All-
gemeine Reihe 1.)

Mit diesem bereits 1931 geschriebenen Buch von Elisabeth Darge liegt, um
das zunächst vorauszuschicken, eine ganz ungewöhnliche literarhistorische Leistung
vor. Ebenso erstaunlich wie die Stoffbeherrschung, die sich in gleicher Gründlichkeit
auf die dichterischen Bucherscheinungen wie auf die literarischen Zeitschriften,
Briefwechsel, Übersetzungen, Neuausgaben älterer Literaturdenkmale und das ganze
ästhetisch-kritisch-biographische Schrifttum der Zeit erstreckt, ist auch die Kunst
der Darstellung, die all die unzähligen Einzelbeobachtungen so geschickt verwertet,
daß die großen Gesichtspunkte nie verloren gehen und man das Buch bis zum Ende
mit unverminderter Spannung liest. Mit feinstem Einfühlungs- und Unterscheidungs-
vermögen leuchtet die Verfasserin in die verwickelten, sich mannigfach überschnei-
denden Verhältnisse deutscher Dichtung um 1900 hinein und es gelingt ihr, die von
ihr verfochtene These in höchstem Maße überzeugend vorzutragen. Ich zögere nicht,
Darges Schrift als eine der wertvollsten literarhistorischen Leistungen der letzten
Jahre zu bezeichnen.

Es handelt sich in diesem Buche darum, einer Dichtergruppe, deren Haupt-
leistungen zwischen 1890 und 1910 liegen, auf dem Wege vom Naturalismus zum
Expressionismus ihren literarhistorischen Platz anzuweisen. Die Dichter dieser
Gruppe, also vor allem Liliencron, Dehmel, die Brüder Hart, Bierbaum, Hartleben,
Henckel, Dauthendey, Schlaf, wurden teils dem Impressionismus, teils der Neuroman-
tik, ja teils sogar dem Naturalismus zugezählt, ohne daß eine dieser Zuweisungen
wirklich befriedigen konnte. Indem die Verfasserin sie unter dem Begriff der Lebens-
bejahung zusammenfaßt, bestimmt sie ihren historischen Ort zwischen Naturalismus
und Neuromantik. Gemeinsam ist der Lebensbejahung, wie wir die Bewegung kurz
nennen wollen, mit der Neuromantik nur der Gegensatz zum Naturalismus; im
übrigen unterscheidet sie sich von ihr in jeder Weise. In zwölf stofflich umgrenzten
Abschnitten wird dieses doppelte Gegensatzverhältnis an vielen Einzelfragen auf-
gezeigt. „Ein Unterstrom gesunden Gefühls, natürlicher Empfindung, lebensfreudi-
ger Tapferkeit fließt unter der vom rein literarischen Standpunkt aus interessanteren
und sichtbareren Zeitströmung der in die Decadence einmündenden Neuromantik":
eben die Bewegung der Lebensbejahung. Indem die Verfasserin in Gesinnung und
Werk der behandelten Dichter, die im allgemeinen in Bausch und Bogen irrigerweise
mit als Decadence verurteilt werden, die durchaus positive Haltung herausarbeitet,
bringt sie das weltanschaulich-ethische Ziel ihres Buches in lebendige Beziehung zur
Gegenwart, zur gegenwärtigen Jugend.

Schon die Stellung zum „Leben" sondert die Dichter der Lebensbejahung von
den Neuromantikern ab: diese schauen zu, jene erleben mit; wo die Neuromantiker
„leben", ist es vielmehr „Sehnsucht nach Leben". Der Naturalismus baute seine Welt-
anschauung auf der mechanisch-materialistischen Naturwissenschaft auf; „die all-
gemeine Kulturbewegung, in der die Dichtung der Lebensbejahung geht", ist Be-
 
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