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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 4.1910/​11

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https://doi.org/10.11588/diglit.22224#0030
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18 Literatur.

Das von dem jetzigen Berner Privatdozenten fühlung, ja ausführlieh dargetan hat. Das sinn-
Wilhelm Worri nger als zweite Auflage seiner lieh Objektive wird erst durch die Einfühlung
nur als Manuskript gedruckten Dissertation her- des ästhetischen Subjekts «belebt» oder «beseelt»,
ausgegebene kleine Buch «Abstraktion und Ein- wird erst und nur durch sie zum «wirksamen»
fühlung» leidet an einem wissenschaftlichen Kunstwerk. Ja, daß Lipps die Einfühlung auch
Grundfehler: Der Verfasser besitzt einen starken für — nach Worringer abstrakte, unorganische —
künstlerischen Hang für die stilisierte Kunst, streng geometrische Kunstwerke anwendet, wie
andererseits eine ausgesprochene Abneigung gegen etwa für sein berühmtes Beispiel der dorischen
alle naturalistische Darstellung desanimalisch Säule (Raumästhetik S. 3—8), beweist die voll-
freudigen Lebens, daß ihm aus diesem Hassen endete Willkürlichkeit und Oberflächlichkeit der
und Lieben ein mit scharf dualistischer Antithese Worringerschen Antithese. Hätte nicht beim
operierendes kunstbegriffliches System entstanden Aufstellen dieses kruden Dualismus der doch
ist, das ebenso unhistorisch wie unreal ist. Da offenbar ästhetisch kontinuierliche Über-
es nicht aus einer intellektuell-objektiven Be- gang von stilisierter und nichtstilisiertcr oder
trachtung, sondern aus einem subjektiv Partei naturalistischer Kunst den Autor bedenklich
nehmenden Wollen sich ableitet, muß es sich machen müssen, die vielleicht historisch als
natürlich als wissenschaftlich durchaus hinfällig polar nur möglichen Gegensätze der ver-
erweisen. schiedenen zeitlichen und örtlichen Kunstübungen

Bereits der Titel «Abstraktion und Einfühlung» — d. h. der verschiedenen «Stile» — auch ins

birgt zwei schwerwiegende ästhetische Fehler: begrifflich Absolute zu erheben? Denn daß gerade

Man darf den rein intellektualistischen zwischen der geometrischen Stilisierung einerseits,

Vorgang der Abstraktion niemals als für das der Natur andererseits doch wiederum eine

sinnliche künstlerische Schaffen oder Genießen innere Verwandtschaft besteht, führt Theo-

irgendwie mitwirksam annehmen, wie ja schon dor Lipps in seiner Grundlegung der

Kant definiert, das Kunstschöne sei das, was Ästhetik, I. Band der Ästhetik, Psycho-

ohne Begriff — also anschaulich — als Objekt logie des Schönen und der Kunst, auf S. 260

eines allgemeinen Wohlgefallens vorgestellt wird, aus: «Die geometrischen Linien scheinen an sich

was ohne Begriff allgemein gefällt. durchaus naturfremd. Trotzdem sind sie es hin-

Andererseits ist der kunstpsychologische Be- gegen auch wieder nicht: Die Kräfte, die in ihnen
griff der Einfühlung viel zu äußerlich ver- walten, sind ja die allgemeinsten Kräfte
standen und daher in seiner Anwendung auf die der Natur. Umgekehrt gibt es in den Natur-
künstlerischen Objekte keineswegs genügsam aus- formen nicht nur die allgemeinen Gewohnheiten
gedehnt. Erscheint es doch als ästhetisch wie oder die gattungsmäßigen Bildungsgesetze, son-
erkenntnistheoretisch naiv, die Einfühlung nur dem es liegt ihnen auch" überall die allgemeine
für Gebilde der organischen Natur gelten zu lassen, mechanische Gesetzmäßigkeit zugrunde.» Das
sie sich als Instrument eines liebenswürdigen (geometrische) Stilisieren befindet sich niemals
Anthropomorphismus zu erklären, — für alle in einem Wes ensgegensatze zum (organischen)
stereometrische und kristallinische Schönheit da- Naturobjekt. S. 261 ebenda: «Stilisieren heißt
gegen sie zugunsten der —■ wie gesagt, ästhetisch nicht, wie einige zu meinen scheinen, auf Natur-
ganz sinnlosen — Abstraktion auszuschließen; objekte die Gesetze der geometrischen Begel-
der Absurdität zu geschweigen, die darin be- mäßigkeit und der Symmetrie „anwenden*. Still-
steht, für das doch als Betrachtungsobjekt stets sieren ist weder ein Hinzutun noch auch ein
einheitliche Gebiet der Kunst zweierlei einfaches Weglassen, sondern es ist ein Her aus -
konträre, sich völlig einander aus- lösen der inneren allgemeinsten me-
schließende Apperzeptionsmethoden anneh- chanischen Ges e tz mäßigkeiten.»
men zu wollen: Ohne Einfühlung istjeg- Weiterhin beschreibt Lipps die zweierlei
liehe ästhetische Apperzeption aber Möglichkeiten der Stilisierung des Natur-
schlechthin unmöglich, wie dies Theodor objekts, die generalisierende Stilisierung,
Lipps, der feinsinnige Psychologe der Ein- welche, das Gattungsmäßige betonend, gewöhnlich
 
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