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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 4.1910/​11

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Schlesinger, Max: Symbolik in der Architektur, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.22224#0034
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22 Max Schlesinger.

Wir möchten dem vermittelnden Standpunkt, den August Essenwein1 einnimmt,
beitreten, welcher die Aufgabe des Bauwerks nicht nur in der Wirkung statischer und
mechanischer (also konstruktiver) Kräfte erblickt, sondern von ihm die Erfüllung der
künstlerischen Pflicht, anzuregen und zu erheben, verlangt. «Eine Formengebung,
welche sich nur auf die sichtbare Ausgestaltung der Konstruktion beschränkt, kann»,
wie Bühlmann2 sagt, «unser Empfinden nicht mehr befriedigen, wenn dem Bauwerk
neben der Erfüllung eines materiellen Zweckes noch eine geistige Bedeutung zukommt,
wie dies bei den Gebäuden für die religiösen Bedürfnisse der Fall ist.»

Schon vor einem Jahrhundert meinte Stieglitz3, daß ihre Werke vermögend sind,
mancherlei Empfindungen zu erwecken und zu nähren; er begründete damit die ihrer
Zeit vielumstrittene Ansicht, daß die Architektur zu den schönen Künsten gehöre. Dieser
Streit läßt uns heute kalt.

«Raumgefühl und Raumphantasie drängen zur Baumgestaltung», ruft Schmarsow4
aus, und Bühlmann verkündet: «Raumumschließung ist die eigentliche konstruktive
Aufgabe der Baukunst, Boden, Wand und Decke deren wesentlichste Bestandteile. Aber
daneben tritt eine Fülle von Formen auf, welche ihren Ursprung nicht der materiellen
Zweckmäßigkeit verdankt, sondern der Freude an Schmuck und Verzierung, dem künst-
lerischen Bedürfnis, gewisse Beziehungen des Bauwerks zum Ausdruck zu bringen.

Damit streifen wir schon hart an das Symbolische. Geht die Baukunst über ihren
ursprünglichen Zweck hinaus, «künstliche Räume zu schaffen, welche vor den Unbilden
der Witterung Schutz gewähren», und beabsichtigt sie durch ihre Werke, idealen Zwecken
zu dienen, verwandelt sie das Bauen in Erbauen, ihre Schöpfungen in Spiegelbilder
der Weltenschöpfung, so ordnet sie diese ihre Werke der Symbolik ein.

Wir geben ihnen eine Einteilung nur der Übersichtlichkeit halber, nicht aus innerer
Gegensätzlichkeit, in solche, welche der Veranschaulichung von Gefühlen, und in der-
artige, welche der Verkörperung von Gedanken dienen.

a) Architektonische Gefühlssymbolik.

John Ruskin5 scheidet einmal die Wirkung der Baukunst in eine gedenkende
(memorial) und in eine erhebende (monumental). Gehen auch beide leicht und häufig
ineinander über, so ist ihr Ursprung doch auf verschiedene Erwägungen zurückzuführen.

«Wo und wann immer ein Ereignis in den gleichförmigen Lauf des Lebens ein-
griff, wurde die Erinnerung daran durch ein sichtbares Zeichen festgehalten.» Albert
Hofmann0 faßt alles Dahiugehörige unter dem Namen Denkmalkunst zusammen; hier
kommt vor allem der zweite Band in Betracht, welcher den Untertitel «Denkmäler mit
architektonischen oder vorwiegend architektonischen Grundgedanken» trägt.

«Schon auf der untersten Kulturstufe veranlaßte ein idealer Drang», sagt Essenwein7,
den Menschen, Massen in Bewegung zu setzen, um Zeichen seines Waltens und Wirkens
auf der Erde zu hinterlassen.» Mit Hofmann meinen wir jedoch, daß zuerst den Toten

1 Die Ausgänge der klassischen Baukunst von Aug. Essenwein, Darmstadt 1886.

2 Die Bauformenlehre von J. Bühlmann, Darmstadt 1896.

3 Die Baukunst der Alten von G. L. Stieglitz, Leipzig 1796.

4 Das Wesen der architektonischen Schöpfung von Aug. Schmarsow, Leipzig 1894.

5 John Ruskin, Die siehen Leuchter der Baukunst, Leipzig 1900.

6 Handbuch der Architektur, IV. Teil, von Albert Hofmann.

7 Allgemeine Hochbaukunde, Einleitung von August Essenwein, Stuttgart 1905.
 
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