00 Max Schlesinger.
begann er die entsprechenden Arbeiten buchstäblich auszuführen, indem er an den vier
Eckpunkten mit hölzernem Schlegel vier hölzerne Stangen in den Boden schlug, um
welche die Maßkette gelegt wurde, indem er mit der Hacke den ersten Hieb in den
Boden führte und die erste Ziegelwand aufführte — teils ersetzte er die Arbeit und den
groben Stoff in symbolischer Weise, indem er statt der Nilziegel goldene, silberne, auch
solche von Edelstein darbrachte, indem er statt Sand und Schutt Goldkörner und Edel-
steine in den Grund warf und statt der Reinigung des fertigen Bauwerks die Mauern
mit Seifenkügelchen bewarf. —
Im Altertum errichtete man zunächst den Altar, im katholischen Ritus ein Kreuz
an der Stelle des Hochaltars. Die Verlegung und Festigung des ersten Steins oder des
Ecksteins bildet den Mittelpunkt der Weihe. Die Ägypter bezeichneten die vier Ecken
durch Niederlegung segenbringender Gegenstände; die Babylonier versenkten Steinkästen
mit geheiligten Bildwerken oder Tongefäße mit Aufschrift in den vier auf die Haupt-
himmelsrichtungen weisenden Ecken; Etrusker und Römer höhlten auf dem Schnitt
punkt der vier Achsen eine Grube für Einlagen von günstiger Vorbedeutung.
Der Grundstein pflegte den Namen des Gründers und eine Weihe an die Gottheit
zu tragen. Opfer wurden an dem Bauplatze dargebracht, in vielen Ländern selbst
Menschenopfer; an ihre Stelle traten auch Tieropfer, um den Geist des Orts zu ver-
söhnen, oder Korn, Wein und Eier.
Die Einlagen bestanden in Baugeräten, kostbaren Steinen, Bildwerken, Geldstücken
und Schaumünzen. Der in den Grund gelegte Edelstein entspricht dem vom Menschen
getragenen Talisman, die beschriebene Tafel dem Amulet, das unter dem Mauerwerk
verborgene Bild den Palladien und Schutzbildern. —
Die katholische Kirche hält seit Jahrhunderten an ihrem hergebrachten Brauch
fest. Der Bischof berührt und legt selbst den Grundstein im Namen der Dreifaltigkeit,
sprengt Weihwasser darüber und umschreitet in drei Absätzen die Grundmauern. —
Auch die Betonung der Dreiheit in Spruch und Hammerschlag ist symbolischen Ursprungs.
Neben den religiösen und abergläubischen Verrichtungen darf man eine symbolische
Wesenseigenschaft zum mindesten in der Form der Mitteilung an die Nachwelt erblicken,
wenn in den Grundstein gangbare Geldstücke, Schaumünzen, Zeitungen und dergleichen
Urkunden der Zeitgeschichte versenkt werden. Dieser Gebrauch will dem Gedanken Aus-
druck geben, daß, wenn die ganze Kultur mit eben diesem Gebäude zusammenstürzen und
die Erinnerung an sie verschwinden sollte, im Grunde noch Reste von alter Zeit Zeugnis
ablegen können — ein Gebrauch, der, bevor man Geschichte aufschrieb, durchaus nützlich
war und für die Erforschung entlegener Zeiten sehr lehrreich geworden ist.--
Aus der baulichen Notwendigkeit, das Zimmerwerk eines Hauses über den Grund-
mauern aufzurichten und zusammenzufügen (J. und W. Grimm), war das den Rohbau
abschließende Richtfest, mit mancher Symbolik verbrämt, Brauch geworden. Weihe-
reden, welche aus altindischer Zeit stammen, enthalten Gebete an wohlgesinnte und
Beschwörungen gegen feindliche Gewalten. Tannenbaum und Reiser, welche auf dem
First aufgepflanzt werden, veranschaulichen den Wald, dem die Balken entnommen
wurden. Dreimal trinkt der Parlierer (Polier) den Festtrunk, beim letzten Male wirft
er das Glas hinab entweder als Symbol weihevollen Besprengens des Hauses, oder rück-
wärts über seinen Kopf als Hindeutuug heidnischen Opferbrauchs.1
1 Brauch, Spruch und Lied der Bauleute von Paul Rowald, Hannover 1892.
begann er die entsprechenden Arbeiten buchstäblich auszuführen, indem er an den vier
Eckpunkten mit hölzernem Schlegel vier hölzerne Stangen in den Boden schlug, um
welche die Maßkette gelegt wurde, indem er mit der Hacke den ersten Hieb in den
Boden führte und die erste Ziegelwand aufführte — teils ersetzte er die Arbeit und den
groben Stoff in symbolischer Weise, indem er statt der Nilziegel goldene, silberne, auch
solche von Edelstein darbrachte, indem er statt Sand und Schutt Goldkörner und Edel-
steine in den Grund warf und statt der Reinigung des fertigen Bauwerks die Mauern
mit Seifenkügelchen bewarf. —
Im Altertum errichtete man zunächst den Altar, im katholischen Ritus ein Kreuz
an der Stelle des Hochaltars. Die Verlegung und Festigung des ersten Steins oder des
Ecksteins bildet den Mittelpunkt der Weihe. Die Ägypter bezeichneten die vier Ecken
durch Niederlegung segenbringender Gegenstände; die Babylonier versenkten Steinkästen
mit geheiligten Bildwerken oder Tongefäße mit Aufschrift in den vier auf die Haupt-
himmelsrichtungen weisenden Ecken; Etrusker und Römer höhlten auf dem Schnitt
punkt der vier Achsen eine Grube für Einlagen von günstiger Vorbedeutung.
Der Grundstein pflegte den Namen des Gründers und eine Weihe an die Gottheit
zu tragen. Opfer wurden an dem Bauplatze dargebracht, in vielen Ländern selbst
Menschenopfer; an ihre Stelle traten auch Tieropfer, um den Geist des Orts zu ver-
söhnen, oder Korn, Wein und Eier.
Die Einlagen bestanden in Baugeräten, kostbaren Steinen, Bildwerken, Geldstücken
und Schaumünzen. Der in den Grund gelegte Edelstein entspricht dem vom Menschen
getragenen Talisman, die beschriebene Tafel dem Amulet, das unter dem Mauerwerk
verborgene Bild den Palladien und Schutzbildern. —
Die katholische Kirche hält seit Jahrhunderten an ihrem hergebrachten Brauch
fest. Der Bischof berührt und legt selbst den Grundstein im Namen der Dreifaltigkeit,
sprengt Weihwasser darüber und umschreitet in drei Absätzen die Grundmauern. —
Auch die Betonung der Dreiheit in Spruch und Hammerschlag ist symbolischen Ursprungs.
Neben den religiösen und abergläubischen Verrichtungen darf man eine symbolische
Wesenseigenschaft zum mindesten in der Form der Mitteilung an die Nachwelt erblicken,
wenn in den Grundstein gangbare Geldstücke, Schaumünzen, Zeitungen und dergleichen
Urkunden der Zeitgeschichte versenkt werden. Dieser Gebrauch will dem Gedanken Aus-
druck geben, daß, wenn die ganze Kultur mit eben diesem Gebäude zusammenstürzen und
die Erinnerung an sie verschwinden sollte, im Grunde noch Reste von alter Zeit Zeugnis
ablegen können — ein Gebrauch, der, bevor man Geschichte aufschrieb, durchaus nützlich
war und für die Erforschung entlegener Zeiten sehr lehrreich geworden ist.--
Aus der baulichen Notwendigkeit, das Zimmerwerk eines Hauses über den Grund-
mauern aufzurichten und zusammenzufügen (J. und W. Grimm), war das den Rohbau
abschließende Richtfest, mit mancher Symbolik verbrämt, Brauch geworden. Weihe-
reden, welche aus altindischer Zeit stammen, enthalten Gebete an wohlgesinnte und
Beschwörungen gegen feindliche Gewalten. Tannenbaum und Reiser, welche auf dem
First aufgepflanzt werden, veranschaulichen den Wald, dem die Balken entnommen
wurden. Dreimal trinkt der Parlierer (Polier) den Festtrunk, beim letzten Male wirft
er das Glas hinab entweder als Symbol weihevollen Besprengens des Hauses, oder rück-
wärts über seinen Kopf als Hindeutuug heidnischen Opferbrauchs.1
1 Brauch, Spruch und Lied der Bauleute von Paul Rowald, Hannover 1892.