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Zeitschrift für Geschichte der Architektur — 4.1910/​11

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Stiehl, Otto: Das Rathaus zu Frankfurt an der Oder
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https://doi.org/10.11588/diglit.22224#0135
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Oder. 123

Nachschrift.

Während der Korrektur vorstehender Arbeit erhalte ich durch eine freundliche
Mitteilung von Herrn Dr. Jung Kenntnis davon, daß sich in letzter Stunde bei der Ver-
zeichnung der Kunstdenkmäler eine Zeichnung gefunden hat, die im Jahre 1788 als
Kopie einer dem Jahre 1604 entstammenden Darstellung entstanden, unser Rathaus
noch ohne das am nördlichen Giebel angebaute Türmchen zeigt. Sie wird in dem
im Druck befindlichen Denkmälerverzeichnis des Stadtkreises Frankfurt veröffentlicht
werden. Leider ist die Zuverlässigkeit dieser Darstellung nicht ganz zweifelsfrei. Es
ist eine Stadtansicht von Frankfurt, in der die Marienkirche mit sichtlichem engen Anschluß
an die Wirklichkeit, die andern Kirchen mit unzweifelhafter Kenntnis ihrer Eigentümlich-
keiten wiedergegeben sind. Auch das Rathaus ist an der richtigen Stelle im Stadtbilde ein-
gesetzt, aber in einer Form dargestellt, die es im Jahre 1604 nicht gehabt haben kann.
Statt der ganz charakteristischen, oben breit abschließenden Giebelform, die der Bau seit
dem vierzehnten Jahrhundert besitzt, ist ein spitzer Giebel mit kleinen Staffeln, also die
landesübliche Durchschnittsform eines nicht besonders ausgezeichneten Saalbaues gegeben.

Für die baugeschichtliche Bewertung dieser Zeichnung gibt es zwei Möglichkeiten,
zwischen denen man nach Belieben wählen mag, da sich ein strenger Beweis für keine
von beiden wird führen lassen. Man kann erstens sagen: Da die Gesamtform des Rathauses,
gerade im Gegensatz zu den Kirchen nicht richtig aufgefaßt ist, so wird der wahrscheinlich
auswärts arbeitende Maler des Bildes nur für die Kirchen, nicht für das Rathaus eingehendere
Unterlagen zu seiner Darstellung gehabt haben. Er hat den Rathausbau einfach schematisch,
ohne nähere Kenntnis der Wirklichkeit an die ihm angegebene Stelle des Bildes hinein-
gesetzt. Dann scheidet das Bild als Geschichtsquelle für den Rathausbau ganz aus. An
der oben gegebenen Darstellung wäre trotz seines Auftauchens nichts zu ändern.

Andererseits kann man wohl auch darüber hinwegsehen, daß die Giebelform als
Ganzes nicht nach der Natur beobachtet ist, und kann idas Fehlen des nördlichen
Türmchens als richtig beobachtet hinnehmen. Daraus würde mit erheblicher Sicher-
heit folgen, daß dieses Türmchen und mit ihm wohl auch die übrigen Anbauten in
Renaissanceformen zu der kurz darauffolgenden Zeit, als Paglion seinen Umbau be-
gann, noch nicht vorhanden waren. Da der klare Vertrag mit Paglion diese Arbeiten
nicht enthält, könnten sie erst nach 1609 entstanden sein. Und da ihre Formen-
sprache eine ganz andere ist, als das, was von Paglions Arbeiten am Südgiebel auf
uns gekommen ist, so müßten wir für diese Bauteile wieder einen anderen Meister an-
nehmen, der nun nicht vor, sondern nach Paglion gearbeitet hätte. Dagegen scheint
zu sprechen, daß die Strebepfeilerkrönungen am Südgiebel, die wir nach den Angaben
der vorliegenden Akten (Einrüstimg der Vorderfront 1609!) dem Paglion zuschreiben
müssen, auf den ersten Blick späteren Charakter zu haben scheinen, als die Re-
naissanceteile. Da wir es hier aber nicht mit gerade fortlaufender Entwicklung,
sondern mit sich ablösenden Einflüssen auswärtiger Meister zu tun haben, ist dieser
Gegengrund nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Wir können uns das Verhält-
nis ähnlich vorstellen, wie es bei dem Rathause zu Posen beglaubigt ist, wo auf die
Bauteile Niurons mit ihren phantastischen, dem slavischen Kunstkreise angehörigen
Zinnenkrönungen usw., die bald nach 1550 entstanden sind, im Jahre 1613 Brüstungen
am Turm in den Formen der deutschen Renaissance folgten.1

1 Vergl. J. Kohte: Verzeichnis der Kunstdenkmäler der Provinz Posen. Berlin 1908. Bd. I, S. 7G.

Zeitschrift für Geschichte der Architektur. IV.

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