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Weber, Paul [Hrsg.]
Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel (Band 5): Kreis Herrschaft Schmalkalden: Textband — Marburg, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.12581#0177

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Stadtkirche, Baugeschichte.

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der Stadtrechnung allein 309 Gulden am Turme verbaut wurden, war der Bau bis zur Höhe der
Türmerwohnung gediehen, wie auch die Jahreszahl über der Eingangstür zu dieser bezeugt. Der
auf schön geschnitzten Säulen ruhende Umgang um dies oberste Geschoß war merkwürdigerweise
schon 1588 so schadhaft, daß er repariert werden mußte.
Für die künstlerische Würdigung der Kirche ist nicht unwesentlich, daß die beiden Türme
ursprünglich natürlich hohe gotische Spitzdächer oder irgend eine andere schlanke Form gotischer
Turmbekrönung trugen. Die wälschen Hauben, welche jetzt beide Türme abschließen, bringen
einen ganz anderen Ton in das ursprüngliche Bauprogramm. Aber dieser Ton wirkt durchaus
nicht störend.
Das verhängnisvolle Jahr für die Kirche war 1608, wo die strenge Durchführung der calvi-
nistischen Lehre endlich erreicht wurde, nachdem sich die Schmalkalder lange geweigert hatten,
die alten Kunstwerke in ihren Kirchen zu vernichten. Am 9. Dezember 1608 erzwang das Landgraf
Moritz unter Androhung von Waffengewalt. Aus der Stadtkirche wurden damals entfernt (nach
Geisthirt):
„1. Ein großes Kruzifix samt der Maria und Johanne auf dem Vorgitter des Chores.
2. Die Apostel des Herrn auf den Krachsteinen im Chore.
3. Ein Portal am Altar, auf welchem der Salvator oben mit der Siegesfahne, unten die
12 Apostel mit Christo über Tisch sitzende, gemahlet und starck vergüldet.
4. Eine Tafel neben dem Altar, daran die Geburth Christi und heilige 3 Könige gemahlet
gewesen.
5. Eine Tafel gleich daran, auf welcher die Passion Christi zu sehen.
6. Eine Tafel, die man zusammen legen können, aus großen geschnitzten Bildern bestehend.
7. Zwey Tafel hinter denen Gestühlen, auf welchen die Historie Jacobs und die Geißelung
Christi zusehen.
8. Beym Glockenturm der Oelgarten auf einer Tafel gemahlt.
9. Neben der fordern großen Kirchenthür die zehn Gebothe mit Figuren auf einer Tafel.
10. Das Hunger Tuch, wie mans genennet, neben dem Chor zur linken Hand.“
Nur der Kirchenpatron St. Georg, „wie er auf dem Pferd sitzend den Drachen erleget und
des Königs Tochter erlöset, schön vergüldet“, über dem südlichen Hauptportal ist damals ver-
schont und erst später bei irgend einer Gelegenheit vernichtet worden. Die Malereien innen und
außen an der Kirche wurden zugetüncht und zum Teil, wie jetzt noch deutlich zu erkennen ist,
sogar abgehackt, der Ölgarten zerstört und ein steinernes Kruzifix neben der Haupttür sowie
ein Christus als Schmerzensmann an der Außenseite des Chores entfernt. Nicht besser erging es
den in Wachs modellierten Bildnissen Luthers, Melanchthons, Johann Hussens und einem auf Sammet
gestickten Marienbilde an der Kanzel. Sogar die Grabsteine in und an der Kirche mußten weichen.
Doch gestattete man den Verwandten und Freunden später, diese in Verwahrung zu nehmen1).
Der Schultheiß Marold machte dann noch auf diejenigen Altäre aufmerksam, welche seit
1540 auf den Kirchenboden lagen. Auch diese wurden entfernt. Im ganzen wurden, nach Geisthirts
Angabe, sechs Wagenladungen voll Altäre, Bilder und Figuren aus der Stadtkirche aufs Schloß ge-
schafft, dazu je eine Wagenladung aus der Totenhofkirche, der Siechenkapelle und der Hospital-
kirche. „Das Zerbrochene und Untüchtige“ daraus wurde noch am gleichen Abend hinter dem
Schlosse verbrannt. Was aus dem nicht Verbrannten geworden ist, berichtet Geisthirt nicht. Viel-
leicht sind doch einige Stücke daraus erhalten geblieben und irgendwo noch aufzufinden. Im Schmal-
kalder Kirchenmuseum (der sog. Lutherstube) finden sich: ein Schnitzaltar, ein Schmerzensmann

1) Verzeichnis der früher vorhandenen gewesenen Grabsteine mit Inschriften bei G e i s t h i r t. Vgl. auch Matthias,
Die Stadtkirche St. Georg, S. 94 fg.
 
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