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Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

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https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0426

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410 Fünfter Abschnitt. Das Retabel

selben alle und jede Berechtigung. Freilich darf derjenige, welcher in ihnen schaffen
will, sich nicht damit begnügen, die eine oder andere Form ihnen abzusehen und
zu kopieren, er muß vielmehr ihrer ganzen Formenwelt nähertreten, sie zu ver-
stehen trachten, sie zu seinem geistigen Eigentum machen, sie völlig zu meistern
lernen und in den Geist dieser Formen wie überhaupt in den des betreffenden Stiles
Hebe- und verständnisvoll einzudringen suchen; kurz, er muß die Stile für sich zu
dem machen, was sie für die alten Meister waren, zu einer lebendigen Sprache. Er
wird dann in ihnen nicht bloß Erbauliches, Würdiges, Schönes, sondern selbst durcu-
aus Persönliches, Eigenartiges und Künstlerisches zu schaffen vermögen.

FÜNFTES KAPITEL

DIE POLYCHROME BEHANDLUNG DES RETABELS

I. DIE POLYCHROME BEHANDLUNG DES RETABELS IM MITTELALTER
1. Steinretabeln. Für die mittelalterlichen Retabeln ist die Poly-
chromie durchaus charakteristisch. Selbst den aus Stein hergestellten gab
man gern ein farbiges Kleid, wenn auch ihr Farbenschmuck in der Regel
einfacher war als der aus Holz gemachten Retabeln und namentlich Gold in
geringerem Maße bei ihnen zur Verwendung kam. Freilich haben heute fast
alle einst bemalten Steinretabeln, die aus dem Mittelalter noch vorhanden
sind, ihre ursprüngliche Bemalung verloren; daß eine solche jedoch einst vor-
handen war, verraten die Überreste und Spuren derselben, welche sich bei
manchen in den Ecken der Falten ihres Bildwerkes oder sonstwo in ver-
tieften Stellen erhalten haben.

Ein gutes Beispiel eines einfach, aber wirkungsvoll bemalten Steinretabels
steht auf einem Altar im südlichen Nebenschiff des Domes zu Naumburg. Der
Rahmen ist rot, der Grund der fünf Arkaden, in welche es gegliedert erscheint,
abwechselnd rot oder grün bemalt. Der Grund der Arkaden zwick el ist grün, der-
jenige der kleinen in ihnen angebrachten Fensterchen rot oder blau. Die Kleidung
der unter den Arkaden angeordneten Figuren ist grün, blau oder rot; Kopf, Hände
und Füße derselben sind fleischfarbig; ihr Haar ist braun. Es sind nur wenige Farben
zur Anwendung gekommen, und doch ist die polychrome Wirkung des kleinen, 1,59 m
breiten und nur 75 cm hohen Retabels vorzüglich.

Nicht poiychromiert wurden die italienischen Marmorretabeln
des 14. und 15. Jahrhunderts. Man wollte bei ihnen ersichtlich die Schönheit des
kostbaren Materials durch einen Farbenauftrag nicht zerstören, wollte bei ihnen
den herrlichen weißen Marmor als solchen und durch sich selbst wirken lassen.
Den englischen Alabasterretabeln hat man dagegen wenigstens eine teil-
weise Pofychromierung gegeben. Ihre Bemalung ist so geschickt und mit so feinem
Empfinden vorgenommen, daß der unbemalte Alabaster der Hauptpartien durch sie
um so glänzender und wirkungsvoller zur Geltung kommt. Es sind regelmäßig
bestimmte Teile von nur nebensächlicher Bedeutung, welche bei ihnen einen farbigen
Schmuck erhalten haben. Der Hintergrund ihres Figurenwerkes ist gewöhnlich ver-
goldet, der Boden, auf dem dasselbe steht, bald schwarz, bald dunkelgrün, aber mit
kleinen, verschiedenfarbigen Rosettchen belebt, die sich aus fünf oder sechs Punkten,
welche um einen größeren als Zentrum gruppiert sind, zusammensetzen. Die Unter-
seite der Gewänder hat, wo sie zum Vorschein kommt, zum Unterschied von der
unbemalten Oberseite und zur besseren Hervorhebung derselben eine rote Bemalung
erhalten. Rot sind auch wohl bei den Engeln die Flügel. Weihrauchfässer und
Kronen sind in der Begel vergoldet, desgleichen eigentümlicherweise das Haar der
 
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