Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Braun, Joseph
Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung (Band 2): Die Ausstattung des Altars, Antependien, Velen, Leuchterbank, Stufen, Ciborium und Baldachin, Retabel, Reliquien- und Sakramentsaltar, Altarschranken — München, 1924

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2049#0437

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Sechstes Kapitel. Das Bildwerk der Retabeln 421

Barockretabeln gab man, um die wuchtige Wirkung derselben zu verstärken, bis in
das 18. Jahrhundert hinein gern einen braunen Anstrich, belebte ihn aber durch eine
reichliche Vergoldung des Ornaments, der Sockel und Kapitelle der Säulen, der
Leisten und Simse. In der Zeit des Rokoko versah man die Retabeln mit Vorliebe
mit einer marmorartigen Bemalung, zu der man nicht selten sogar Ultramarin und
schreiendes Grün verwendete. Ganz unbemalte Barockretabeln sind aus Holz selten
angefertigt worden. Ein hervorragendes Beispiel ist das figurenreiche Machabäer-
retabel in St. Andreas zu Köln8. Die zahlreichen Stuckretabeln, die seit dem Beginn
des 18. Jahrhunderts zumal in Süddeutschland geschaffen wurden, wurden stets nach
.Marmorart bemalt, oft in sehr lebhaiter und mannigfaltiger Färbung. Etwaiges Fi-
gurenwerk derselben ließ man mit Vorliebe in blendendem "Weiß erstrahlen.

SECHSTES KAPITEL

DAS BILDWERK DER RETABELN

I. BILDWERK UND RAHMEN

Vergleicht man die Retabeln des Mittelalters und der Frührenaissance
mit denen der Hoch- und der Spätrenaissance und noch mehr mit denen des
Barocks, so gewahrt man alsbald einen großen Unterschied bezüglich des
Verhältnisses des Bildwerkes zu seiner Einfassung. Bei den mittelalterlichen
Retabeln bildet das Bildwerk ausgesprochen die Hauptsache, der Rahmen
ebenso ausgesprochen die Nebensache.

Selbst wenn das Rahmenwerk mit figürlichen Darstellungen ausgestattet erscheint,
wie es bisweilen der Fall ist, oder wenn sich auf dem Schrein ein von Baldachinen,
Streben und Fialen gebildeter turmartiger Aufsatz als Bekrönung aufbaut, wie es im
ausgehenden Mittelalter namentlich bei den süddeutschen und Tiroler Retabeln
beliebt war, behält der Rahmen stets unverkennbar die Form einer bloßen Einfassung,
die nur als solche, nicht aber selbständig für sich als Architektur wirken soll. Er ist
immer bloß des Bildwerkes wegen da, das er abgrenzen, für das er einen geeigneten
Hintergrund bieten, das er mehr und besser zur Geltung bringen solL

In der Zeit der Frührenaissance beginnt dann zwar eine architektonische Um-
bildung des Rahmenwerkes, wie früher dargelegt wurde, indem man dasselbe im
Sinne einer der antiken Ordnungen ausbildete, als Ganzes aber blieb es nach wie
vor gegenüber dem Bildwerk Nebensache. Die zahlreichen Frührenaissanceret ab ein
in Italien und Spanien, aber auch die Retabeln dieser Art, die sich in Frank-
reich, den Niederlanden und Deutschland erhalten haben, legen dafür
immer wieder Zeugnis ab. Nicht bloß jene, deren Rahmen ein Gemisch von Gofik
und Renaissance darstellt, auch diejenigen, deren Einfassung nur mehr die Formen-
sprache der Benaissance redet, stimmen noch immer mit den mittelalterlichen Re-
tabeln darin überein, daß das Bildwerk bei ihnen das herrschende, das Rahmenwerk
lediglich das dienende Element ist. Selbst die großartigen Renaissanceret abeln in
Spanien, bei denen sich eine Ordnung über der anderen aufstaffelt, und Säulchen
wie Gebälk oft die reichste und energischste Ausbildung erfahren haben, halten be-
züglich des Verhältnisses von Bildwerk und Fassung unentwegt an dem herkömm-
liehen Prinzip fest. Sie bleiben trotz der scharf ausgeprägten architektonischen
Formgestaltung des Rahmenwerks dasselbe, was die spanischen gotischen Retabeln
"waren, eine reich gegliederte, aus einer Fülle von Einzelfiguren und Reliefs sich zu-
sammensetzende Bilderwand.

1 Abb. in Kd. der Rheinpr., Stadt KöSn I,, 51.
 
Annotationen