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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 8.1901

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Bruns, Margarete: Der Stil der modernen Kleidung, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6597#0075

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374

Margarete Bruns—Minden :


BERNH. WENIG—BERCHTESGADEN. Ansichts-Karte.
Der Stil der modernen Kleidung,
Es gibt gewiss nur wenige Gebiete, auf
denen mehr gegen die Schönheit gefrevelt
wird, als auf dem der menschlichen Kleidung.
Jeder ästhetisch empfindende Mensch, der
nur einen Jahrgang Modenblätter durchsieht,
wird gern die Wahrheit meiner Behauptung
zugeben. Das Kleid ist etwas Selbständiges
geworden, das mit dem Körper in keinem
Zusammenhange mehr zu stehen scheint.
Wer hätte z. B. unter der sogenannten Tour-
nüre oder den erst kürzlich überwundenen
Ballon - Ärmeln wohlgebildete menschliche
Glieder vermuten können, wenn er nie einen
nackten Körper gesehen? Die grosse Be-
wegung, die unser gesamtes Handwerk er-
griffen, scheint aber endlich auch die Kleidung
in ihre Kreise hineinziehen zu wollen. Vor-
läufig beschränkt sich dieses Hineinziehen,
so viel ich weiss, allerdings auf ein paar
vereinzelte Versuche. *) Einer von diesen ist
der Entwurf einer Stickerei für eine Blouse
von Hermann Obrist, ein anderer der Ent-
wurf eines Kleides von Bernhard Wenig,
gelegentlich eines Preis-Ausschreibens der
Zeitschrift »Deutsche Kunst und Dekoration'-'..
*) Ich schrieb diesen Aufsatz geraume Zeit vor der
Krefelder Ausstellung, welche im Vorjahre stattfand, auf
die ich jedoch am Schluss noch näher eingehen werde.

Beide Künstler beschränken sich auf die
Reformierung des Besatzes; denn auch
Wenig gibt nur diesem eine künstlerische
Form und unterwirft sich im Schnitt seines
Kleides noch ganz den herrschenden Be-
dingungen der Mode.
Auch unter den Frauen selbst beginnt
es sich endlich ein wenig zu regen, aber
die Änderungen, die von ihnen gemacht
werden, sind noch primitiverer Art. Durch
die Frauenbewegung und den Sport ist die
Frauenkleidung zwar gesünder und bequemer
geworden, aber nicht schöner. Sind wir
auch jetzt vor groben unpraktischen Aus-
schweifungen geschützt, ihren spezifisch
weiblichen Karakter hat die Frauentracht
dabei eingebüsst. Künstlerischer empfindende
Frauen mühen sich, die alte Empiretracht
wieder aufleben zu lassen, ja sogar auf die
Hoch-Renaissance hat man zurückgegriffen
und die schlichte Haar-Frisur der Madonna
della Sedia Rafaels mit dem berühmten
Stirn-Dreieck scheint die herrschende Haar-
Tracht verdrängen zu wollen.
Das Alles sind deutliche Beweise, dass
man zwar der alten unnatürlichen Mode-
Formen überdrüssig geworden ist, dass man
aber bis jetzt über die Art der Änderungen


BERNH. WENIG—BERCHTESGADEN. AnSÜhtS-Karte.
 
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