Lenardo und Blandine.
IS
Lenardo kann vor Staunen
keine Antwort finden, schleicht
zur Seite, beißt in den Apfel,
und zieht mit den Zähnen einen
Liebesbrief heraus, dessen In-
halt er vor männiglich verheim-
licht, und gibt seine Verwun-
derung durch unterschiedliche
Purzelbäume, Luftsprünge, an-
muthige Grimaffen und schnelles
Farbwechseln kund. Ihn be-
obachtet heimlich der Molch.
Molch (für sich, agirt sehr deutlich folgendes):
Was sieht mein rollend Aug! Was muß mir werden kund?
Blandine, Falsche du, mit deinem Rosenmund!
Tu treibst dein Minnespiel so offen und so frei,
Und ziehst uns Allen vor den schlechten Hoflakai?
Tu wirfst dein nobles Herz so weg an die Bagage?
Und hast dich ganz vergafft in eine Kindsvisage?
Ha! wie mein heißes Blut durch Hirn und Adern tobt —
Mein Dolch, dreischneidig, werd' an jenem Kerl erprobt!-
Das Ende dieses herz- und gemüthvollen Monologs wird durch
einige Fledermäuse abgebrochen, welche sich auf eine höchst störende
Weise unter die Gesellschaft mischen, so daß diese in völliger Ver-
wirrung aufgelöst, schnell die Köpfe zusammensteckt, über welche
höchst malerische Gruppe der Vorhang majestätisch langsam sich her-
absenkt.
Ende des ersten Aktes.
«Fortsetzung folgt.)
Minona Blümchen,
die unermüdliche Briefschreiberin.
Hier ein Blatt aus dem Lebensbuche eines meiner Be-
kannten. Er hatte eine ältere Freundin, um so zu sagen eine
Ehrenfreundin (wie es Ehrendamen giebt) MinonaBlümchen.
Sie war eine bemittelte Wittwe, in den Classikern belesen,
durch das Conversationslexicon gebildet, trotz ihren hohen
Jahren etwas sentimental. Namentlich war er dazu ver-
pflichtet, ihr neu erschienene Bücher zur Lektüre vorzuschlagen,
solche zu verschaffen und überhaupt dies und jenes zu besorgen.
Den Tag, wo sie keinen Auftrag ertheilt, keinen Brief ge-
schrieben, hielt sie für verloren, und mein Bekannter war
gutwillig genug, sich ihr zur Befriedigung dieser Liebhaberei
dienstwillig herzugeben. Er wohnte in der Hauptstadt, sie in
Rosenloch, einem vielbesuchten, als Vergnügungsort beliebten
und angesehenen Landstädtchen in der Nähe der Residenz. Die
Bricfcommunicationwarsomitdurch Posten, Landkutschen, Land-
boten, ankonimende und abgehende Bekannte ungemein gefördert.
Der Inhalt der Briefe gestaltete sich beispielsweise etwa
folgendermaßen.
Rvsenloch, den 1. Mai.
Der Wonnemond, theuerster Freund, ist wie eine junge
Rosenknospe aufgebrocheu. Wie bedauere ich Sie in Ihrer
großen Stadt, wo Sie einen stundenlangen Weg brauchen,
um zu wissen, daß Frühling ist. Hier in Rosenloch tritt
man, um so zu sagen, mit jedem Schritte auf den Frühling.
Die Bäume grünen, die Blumen blühen und die Vögel singen.
Ich gehe täglich spazieren, Bor- uud Nachmittags, denn ich be-
kenne meine Schwäche, eine Freundin der Naturschonheiten
zu sein. Wenn ich Sie und die Natur nicht hätte, so stände
ich ja Mutterseelen allein. Ta sitze ich denn bei dem künst-
lichen Wasserfalle auf einem der großen bemoosten Felssteine,
achte der Tropfen nicht, die auf mein Gewand spritzen, und
lese in irgend einem der schönen Bücher, die ich durch Ihre
gütige Vermittlung erhalte.
Apropos! Ich bin in Verlegenheit uni einen Sommerhut,
wie ihn die Mode vorschreibt. Nicht wahr, theuerster Freund!
Sie besorgen mir einen solchen? Sie kennen ja Madame Stru-
sel, sie war neulich hier in Rosenloch, und trug einen Sommer-
hut, der mir außerordentlich wohl gefiel. Sie wird Ihnen sa-
gen, in welchem Gewölbe Sie einen solchen erhalten können.
Nicht wahr, Sie haben die Güte? Mit Geist und Herz
Ihre Freundin Minona SliimchtN.
Rosenloch, den 3. Mai.
Herzlichen Dank Ihnen, theuerster Freund! für die
prompte Besorgung. Der Sommerhut hat ganz nieinen Bei-
fall. Beiliegend erfolgt auch die Auslage mit herzlich wieder-
holter Darlegung meines innigsten Dankgefühls, auch ein
Paar Vergißmeinnicht, welche ich mit eigner Hand hinter
unserm Hause gepflückt habe. Ich habe mir dabei, mit
Respekt zu sagen, die Füße erkältet, indem ich in das trüg-
liche Blumenufer des Grabens hinunterglitt. Der Husten,
den ich mir dabei geholt, macht mich unendlich glücklich,
weil ich mir ihn für Sie geholt habe.
Beglücken Sie doch einmal Rosenloch mit Ihrer schätzbaren
Gegenwart! Auch darf ich Sie wohl bitten, mir ein Tütchen
mit Malzzucker gegen meinen Husten zu besorgen. In unserm
3*
IS
Lenardo kann vor Staunen
keine Antwort finden, schleicht
zur Seite, beißt in den Apfel,
und zieht mit den Zähnen einen
Liebesbrief heraus, dessen In-
halt er vor männiglich verheim-
licht, und gibt seine Verwun-
derung durch unterschiedliche
Purzelbäume, Luftsprünge, an-
muthige Grimaffen und schnelles
Farbwechseln kund. Ihn be-
obachtet heimlich der Molch.
Molch (für sich, agirt sehr deutlich folgendes):
Was sieht mein rollend Aug! Was muß mir werden kund?
Blandine, Falsche du, mit deinem Rosenmund!
Tu treibst dein Minnespiel so offen und so frei,
Und ziehst uns Allen vor den schlechten Hoflakai?
Tu wirfst dein nobles Herz so weg an die Bagage?
Und hast dich ganz vergafft in eine Kindsvisage?
Ha! wie mein heißes Blut durch Hirn und Adern tobt —
Mein Dolch, dreischneidig, werd' an jenem Kerl erprobt!-
Das Ende dieses herz- und gemüthvollen Monologs wird durch
einige Fledermäuse abgebrochen, welche sich auf eine höchst störende
Weise unter die Gesellschaft mischen, so daß diese in völliger Ver-
wirrung aufgelöst, schnell die Köpfe zusammensteckt, über welche
höchst malerische Gruppe der Vorhang majestätisch langsam sich her-
absenkt.
Ende des ersten Aktes.
«Fortsetzung folgt.)
Minona Blümchen,
die unermüdliche Briefschreiberin.
Hier ein Blatt aus dem Lebensbuche eines meiner Be-
kannten. Er hatte eine ältere Freundin, um so zu sagen eine
Ehrenfreundin (wie es Ehrendamen giebt) MinonaBlümchen.
Sie war eine bemittelte Wittwe, in den Classikern belesen,
durch das Conversationslexicon gebildet, trotz ihren hohen
Jahren etwas sentimental. Namentlich war er dazu ver-
pflichtet, ihr neu erschienene Bücher zur Lektüre vorzuschlagen,
solche zu verschaffen und überhaupt dies und jenes zu besorgen.
Den Tag, wo sie keinen Auftrag ertheilt, keinen Brief ge-
schrieben, hielt sie für verloren, und mein Bekannter war
gutwillig genug, sich ihr zur Befriedigung dieser Liebhaberei
dienstwillig herzugeben. Er wohnte in der Hauptstadt, sie in
Rosenloch, einem vielbesuchten, als Vergnügungsort beliebten
und angesehenen Landstädtchen in der Nähe der Residenz. Die
Bricfcommunicationwarsomitdurch Posten, Landkutschen, Land-
boten, ankonimende und abgehende Bekannte ungemein gefördert.
Der Inhalt der Briefe gestaltete sich beispielsweise etwa
folgendermaßen.
Rvsenloch, den 1. Mai.
Der Wonnemond, theuerster Freund, ist wie eine junge
Rosenknospe aufgebrocheu. Wie bedauere ich Sie in Ihrer
großen Stadt, wo Sie einen stundenlangen Weg brauchen,
um zu wissen, daß Frühling ist. Hier in Rosenloch tritt
man, um so zu sagen, mit jedem Schritte auf den Frühling.
Die Bäume grünen, die Blumen blühen und die Vögel singen.
Ich gehe täglich spazieren, Bor- uud Nachmittags, denn ich be-
kenne meine Schwäche, eine Freundin der Naturschonheiten
zu sein. Wenn ich Sie und die Natur nicht hätte, so stände
ich ja Mutterseelen allein. Ta sitze ich denn bei dem künst-
lichen Wasserfalle auf einem der großen bemoosten Felssteine,
achte der Tropfen nicht, die auf mein Gewand spritzen, und
lese in irgend einem der schönen Bücher, die ich durch Ihre
gütige Vermittlung erhalte.
Apropos! Ich bin in Verlegenheit uni einen Sommerhut,
wie ihn die Mode vorschreibt. Nicht wahr, theuerster Freund!
Sie besorgen mir einen solchen? Sie kennen ja Madame Stru-
sel, sie war neulich hier in Rosenloch, und trug einen Sommer-
hut, der mir außerordentlich wohl gefiel. Sie wird Ihnen sa-
gen, in welchem Gewölbe Sie einen solchen erhalten können.
Nicht wahr, Sie haben die Güte? Mit Geist und Herz
Ihre Freundin Minona SliimchtN.
Rosenloch, den 3. Mai.
Herzlichen Dank Ihnen, theuerster Freund! für die
prompte Besorgung. Der Sommerhut hat ganz nieinen Bei-
fall. Beiliegend erfolgt auch die Auslage mit herzlich wieder-
holter Darlegung meines innigsten Dankgefühls, auch ein
Paar Vergißmeinnicht, welche ich mit eigner Hand hinter
unserm Hause gepflückt habe. Ich habe mir dabei, mit
Respekt zu sagen, die Füße erkältet, indem ich in das trüg-
liche Blumenufer des Grabens hinunterglitt. Der Husten,
den ich mir dabei geholt, macht mich unendlich glücklich,
weil ich mir ihn für Sie geholt habe.
Beglücken Sie doch einmal Rosenloch mit Ihrer schätzbaren
Gegenwart! Auch darf ich Sie wohl bitten, mir ein Tütchen
mit Malzzucker gegen meinen Husten zu besorgen. In unserm
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Lenardo und Blandine"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 27, S. 19
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg