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Die Todesnachricht.

Ohngefähr eine halbe Stunde war verflossen. Aber wie
groß war mein Schrecken, als ich, mich wieder der Gruppe
nähernd, diese in tieffter Trauer fand! Mina weinte; die
Justizräthin weinte; dör Justizrath schien zu weinen; Edgar
schnitt wenigstens ein weinerliches Gesicht, und der alte Fried-
rich wischte sich die Augen. „Was ist denn vorgefallen?"
fragte ich den guten Bedienten.

„Ich weiß es nicht," antwortete dieser schuchzend; „aber
da die Herrschaft weint, niuß ich doch wohl auch weinen. Es
ist ganz gewiß ein großes Familienunglück arrivirt; denn sie
sprechen von plötzlichem Tod und von unschuldiger Jugend.
Ich glaube, daß der Herrschaft einige Verwandte gestorben sind."

Bei den letzten Worten vergoß die treue Seele Zähren
des bittersten Kummers.

Ich hielt es nicht für rathsam, mich den Thränenquellen
zu nähern, sondern blieb in einiger Entfernung stehen und
hörte Mina seufzend ausrufen: „Aber mein Gott, warum
mußten Beide zugleich sterben?"

„Ach, die unschuldigen Kinder!" ächzte ein etwas abge-
blaßtes Fräulein (die Cousine Mina's wie ich später erfuhr);
„aber sie mußten untergehen. Es war des eisernen Schick-
sals Stimme, die dies gebot."

„O Gott im Himmel!" rief Mina zerknirscht, „was
wird er, was wird der arme Vater, der schon so viel Jammer
erduldet, bei der Schreckensnachricht empfinden!"

„Der arme Vater ist am meisten zu bedauern," seufzte
die Justizräthin, indem sie, auf's heftigste erschüttert, ein
Stück geräucherter Zunge verspeiste. „Ja, der arme Vater
ist am meisten zu bedauern. Nicht wahr, Väterchen?"

„Freilich, meine Liebe," antwortete der Justizrath hüstelnd;
„aber es zieht hier verdammt stark."

„Hatten sie nicht blaue Augen?" fragte Mina mit feuchten
Blicken einen jungen Mann, ihren Vetter, der mit dem bleichen
Fräulein, seiner Schwester, bei Andernach, eingestiegen war,
und die gräßliche Nachricht auf's Schiff gebracht hatte.

„Sie hatten blaue Augen," sagte der junge Mann höchst
gleichgültig ; sie hatten blaue Augen und blondes Haar; sie
waren gewachsen wie die Lilien und waren unschuldig wie
die Lilien. Da aber bekanntlich für den Tod kein Kraut ge-
wachsen ist, und die guten Kinder doch einmal des Todes ver-
blichen sind, so denk' ich, liebe Cousine, daß wir uns trösten.".

„Du Grausamer! Tu Barbar! Du Alltagsmensch! Du
modernes Wesen!" herrschte ihn Mina an. Was liegt Dir
an der gequälten Unschuld? Was liegt Dir an der beleidigten
Tugend? Du hast immer eine Freude, wenn das Erhabene
untergeht und die Prosa triumphirt."

Ter junge Mann, der nicht Lust hatte, sich von seiner
lieben Cousine noch länger solche Schmeicheleien sagen zu lassen,
zog sich zurück, und ich benutzte diesen Umstand, um über die
plötzliche Familienttauer nähere Nachrichten einzuziehen.

Ich erfuhr nun den Tod der beiden wunderlieblichen

Mädchen, von welchen meine freundlichen Leser und anmuthi-
gen Leserinnen gewiß ebenfalls gehört haben werden. Es
waren die beiden Töchter des berühmten und tapfern Mar-
schalls Simon; sie hießen Rose und Blanche und sind ge-
storben an der Cholera im zehnten Kapitel des siebenten Ban-
des des ewigen Juden von Eugen Sue.

Ich suchte Mina so gut wie möglich zu ttösten; aber
ihr Berliner Herz war durch die Nachricht des doppelten
Todesfalles allzusehr erschüttert. „Ach!" schluchzte sie, „ich
ahne nichts Gutes. Ich fürchte vielmehr, daß der Tod
noch mehr Opfer fordert. Mir ist's bange um den treffli-
chen Marschall Simon, um die liebenswürdige Adrienne und
besonders um — den schönen indischen Prinzen Tschalma,"
setzte sie nach einer kleinen Pause jungfräulich verschämt hinzu.

Mina's Ahnung hat nicht gelogen; denn in den folgen-
den Kapiteln des ewigen Judeu räumt der Tod so gewaltig
auf, daß am Ende sogar der Leser für sein eigenes Leben
besorgt wird. Wahrlich, hätte der treffliche Eugeu Sue nur
im entferntesten ahnen können, welch bittere Schmerzen ein
sanftes Berliner Gemüth ob dem Tod so vieler edlen Wesen
empfinden mußte, er hätte sich von seiner menschenfresserischen
Muse gewiß nicht zu solchen unerhörten Grausamkeiten ver-
leiten lassen. Und damit schließ' ich diese ttaurige Novelle.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Die Todesnachricht"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
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Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Karikatur
Tod <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Sue, Eugène
Le juif errant

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 28, S. 29

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