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Moderner Narrenspicgel
(Schluß.)
5. Ter Possenreißer.
z
Einen andern Na-
men kann ich dem
rundlichen, wohlge-
nährten Manne nicht
geben, der eigentlich
kein besonderes Fach
der Unterhaltung be-
kleidet, sondern als
Bajazzo der Gesell-
schaft seiner barocken
Phantasie inden toll-
sten Sprüngen freien
Lauf läßt. Seine Un-
terhaltungsmanier
besteht aus den un-
geregeltsten Capric-
cio's, die Anfangs
fast nur auf die Kin-
der des Hauses wir-
ken, endlich aber, sich immer mehr steigernd, auch die Ernsthaf-
testen zum Gelächter hinreißen. Er sängt vielleicht damit an,
daß er im Sprecheu die Buchstaben oder Sylben versetzt; er spricht
z. B. Knaushecht statt Hausknecht, Lachtnampe statt Nachtlampe,
vermodert und vermest statt vermodert und verwest, Fleinwasche
statt Weinflasche, Pfänsegote statt Gänsepfote, Grattenschund
statt Schattengrnnd u. s. w.; er improvisirt, zwar abscheulich,
aber doch höchst possierlich; er gibt schwer sprechbare Phrasen,
z. B. sechs und sechzig Schock sächsische Schuhzwecken u. s. w.
ein Tutzendmal nach einander zu sagen auf; er ballt die Faust, malt
aus die obere Handfläche mit Tinte eine Art Gesicht, putzt sei-
nen Arm als Wickelkind mit Tüchern und Bändern aus, und
vertritt daran die Stelle einer säugenden Mutter, indem er zu-
gleich das Geschrei eines Kindes nachahmt; auch das Surren
und Brumnien einer Fliege am Fenster und an der Wand weiß
er aufs natürlichste nachzuahmen und ein heranziehendes und
zuletzt einschlagendes Gewitter durch das bloße Verzerren der
Gesichtsmuskeln drollig darzustellen; dann ergötzt er wieder die
Gesellschaft mit allerlei Taschenspielerstückchen, indem er z. B.
scheinbar ein Messer verschlingt; oder er legt drei Semmelstück-
chen auf den Tisch, und verspricht, sie unter seinen Hut, den er
inzwischen aufgesetzt hat, zu bringen, ohne diesen abzunehmen.
Er bewirkt dies, indem er sie verspeist. Ferner bringt er aus
seinem Gesichte eine ganze Reihe dummer Fratzen zum Vorschein,
so daß sich eine aus der andern immer naturgemäß zu entwickeln
scheint: er stellt die Scene dar, wie alle Mitglieder einer Fami-
lie umsonst sich bemühen, ein Licht auszublasen, weil sie sämmt-
lich schiefe Mäuler haben; er führt selbstständige kleine Dramen
auf, z. B. eins unter dem Titel: Habt Ihr meiner Mutter Mütze
nicht gesehen?" wobei er bald als dummer Junge, bald als wei-
nerlicher sentimentaler Bube, bald als bramarbasirender Eisen-
fresser erscheint, und, jedem dieser Charaktere getreu, im Zim-
mer nach der Mutter Mütze umhersucht; in Verkleidungen, Ver-
puppungen und Verkappungen ist er Meister — kurz, er ist im
Stande, einen ganzen Abend lang sechs bürgerliche Familien
mit Groß und Klein aufs possierlichste zu unterhalten.
6. Der Arrangeur,
insofern der Wichtigste, da er gewisiermaßen der organisirendc
Geist ist, ohne welchen in einer Familie eine Festlichkeit, ein
kleiner Ball, ja selbst ein Pfänderspiel nicht wohl zu Stande
kommen kann. Er ist, was beim Theater der Direktor, der Re-
gisseur, der Operndirigent, der Feuerwerker, der Inspizient, der
Maschinenmeister, der Tecorationsmaler, der Balletmeister, der
Garderobier, der Theaterdichter und der Lampenputzer sind, in
Einer Person. Am glänzendsten zeigt er sich in Festspielen, die
er meist selbst erfindet, dichtet und arrangirt, und wobei er vor-
zugsweise darauf bedacht sein muß, auch die kleinen drei und
vierjährigen Sprößlinge des Hauses, die dann gewöhnlich als
Genien mit Flügeln erscheinen, pas-
send zu verwenden, und ihnen rüh-
rende Verse in den Mund zu legen,
welche um so eindringlicher wirken,
wenn zuletzt der Namenszug des ge-
feierten Familienmitgliedes in trans-
parenter Beleuchtung im Hinter-
gründe erscheint. Der Arrangeur hat
zwar viele Mühe und mannigfache
Kümmerniß, dafür aber auch die überschwengliche Genugthuung,
daß die Mitglieder der Familie, für die er vorzugweise wirkt, die
Dramen Shakspeare's, Schiller's und Goethe's gegen seine Fest-
spiele für Schüler- und Stümperarbeiten, und seine Verse für
die besten halten, die je gedichtet und deklamirt worden sind.
Moderner Narrenspicgel
(Schluß.)
5. Ter Possenreißer.
z
Einen andern Na-
men kann ich dem
rundlichen, wohlge-
nährten Manne nicht
geben, der eigentlich
kein besonderes Fach
der Unterhaltung be-
kleidet, sondern als
Bajazzo der Gesell-
schaft seiner barocken
Phantasie inden toll-
sten Sprüngen freien
Lauf läßt. Seine Un-
terhaltungsmanier
besteht aus den un-
geregeltsten Capric-
cio's, die Anfangs
fast nur auf die Kin-
der des Hauses wir-
ken, endlich aber, sich immer mehr steigernd, auch die Ernsthaf-
testen zum Gelächter hinreißen. Er sängt vielleicht damit an,
daß er im Sprecheu die Buchstaben oder Sylben versetzt; er spricht
z. B. Knaushecht statt Hausknecht, Lachtnampe statt Nachtlampe,
vermodert und vermest statt vermodert und verwest, Fleinwasche
statt Weinflasche, Pfänsegote statt Gänsepfote, Grattenschund
statt Schattengrnnd u. s. w.; er improvisirt, zwar abscheulich,
aber doch höchst possierlich; er gibt schwer sprechbare Phrasen,
z. B. sechs und sechzig Schock sächsische Schuhzwecken u. s. w.
ein Tutzendmal nach einander zu sagen auf; er ballt die Faust, malt
aus die obere Handfläche mit Tinte eine Art Gesicht, putzt sei-
nen Arm als Wickelkind mit Tüchern und Bändern aus, und
vertritt daran die Stelle einer säugenden Mutter, indem er zu-
gleich das Geschrei eines Kindes nachahmt; auch das Surren
und Brumnien einer Fliege am Fenster und an der Wand weiß
er aufs natürlichste nachzuahmen und ein heranziehendes und
zuletzt einschlagendes Gewitter durch das bloße Verzerren der
Gesichtsmuskeln drollig darzustellen; dann ergötzt er wieder die
Gesellschaft mit allerlei Taschenspielerstückchen, indem er z. B.
scheinbar ein Messer verschlingt; oder er legt drei Semmelstück-
chen auf den Tisch, und verspricht, sie unter seinen Hut, den er
inzwischen aufgesetzt hat, zu bringen, ohne diesen abzunehmen.
Er bewirkt dies, indem er sie verspeist. Ferner bringt er aus
seinem Gesichte eine ganze Reihe dummer Fratzen zum Vorschein,
so daß sich eine aus der andern immer naturgemäß zu entwickeln
scheint: er stellt die Scene dar, wie alle Mitglieder einer Fami-
lie umsonst sich bemühen, ein Licht auszublasen, weil sie sämmt-
lich schiefe Mäuler haben; er führt selbstständige kleine Dramen
auf, z. B. eins unter dem Titel: Habt Ihr meiner Mutter Mütze
nicht gesehen?" wobei er bald als dummer Junge, bald als wei-
nerlicher sentimentaler Bube, bald als bramarbasirender Eisen-
fresser erscheint, und, jedem dieser Charaktere getreu, im Zim-
mer nach der Mutter Mütze umhersucht; in Verkleidungen, Ver-
puppungen und Verkappungen ist er Meister — kurz, er ist im
Stande, einen ganzen Abend lang sechs bürgerliche Familien
mit Groß und Klein aufs possierlichste zu unterhalten.
6. Der Arrangeur,
insofern der Wichtigste, da er gewisiermaßen der organisirendc
Geist ist, ohne welchen in einer Familie eine Festlichkeit, ein
kleiner Ball, ja selbst ein Pfänderspiel nicht wohl zu Stande
kommen kann. Er ist, was beim Theater der Direktor, der Re-
gisseur, der Operndirigent, der Feuerwerker, der Inspizient, der
Maschinenmeister, der Tecorationsmaler, der Balletmeister, der
Garderobier, der Theaterdichter und der Lampenputzer sind, in
Einer Person. Am glänzendsten zeigt er sich in Festspielen, die
er meist selbst erfindet, dichtet und arrangirt, und wobei er vor-
zugsweise darauf bedacht sein muß, auch die kleinen drei und
vierjährigen Sprößlinge des Hauses, die dann gewöhnlich als
Genien mit Flügeln erscheinen, pas-
send zu verwenden, und ihnen rüh-
rende Verse in den Mund zu legen,
welche um so eindringlicher wirken,
wenn zuletzt der Namenszug des ge-
feierten Familienmitgliedes in trans-
parenter Beleuchtung im Hinter-
gründe erscheint. Der Arrangeur hat
zwar viele Mühe und mannigfache
Kümmerniß, dafür aber auch die überschwengliche Genugthuung,
daß die Mitglieder der Familie, für die er vorzugweise wirkt, die
Dramen Shakspeare's, Schiller's und Goethe's gegen seine Fest-
spiele für Schüler- und Stümperarbeiten, und seine Verse für
die besten halten, die je gedichtet und deklamirt worden sind.
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Moderner Narrenspiegel."
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 2.1846, Nr. 32, S. 62
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg